Blinde fordert gleiche Wahlen

Staatsgericht Bremen urteilt über Barrierefreiheit bei Wahlen

Vielleicht ist es nächsten Donnerstag vorbei mit der Bremer Landesregierung: Kein Bürgermeister Bovenschulte mehr und keine rot-grün-rote Regierungskoalition, kein Gesetz des vergangenen Jahres wäre noch gültig. Vorm Staatsgericht entschieden wird dann nämlich die Frage, ob die Landeswahlordnung für die Bürgerschaftswahl verfassungsgemäß ist.

Corinna May, die hier klagt, hat eigentlich kein Interesse daran, eine Regierung zu stürzen. Die blinde Schlagersängerin will nur wählen können, wie alle anderen auch: frei, gleich, geheim. Doch ihre Stimme ging bei der letzten Wahl verloren: Ihr Mann durfte sie nicht in die Wahlkabine begleiten – und für die Audio-CD, die Sehbehinderten die Wahl ermöglichen soll, gab es in dem Wahllokal kein Abspielgerät.

Die Schwierigkeiten aber begannen schon bei der Wahlbenachrichtigung: „Ohne Blindenschrift kann ich nicht erkennen, was das für ein Brief ist“, klagt May. Die Abgabe der Stimme selbst wird zur Herkulesaufgabe: Sehbehinderte müssen diverse Schablonen exakt an die Wahlzettel anpassen, um ihre Kreuze an den richtigen Stellen zu machen; bei sehr langen Wahlbögen sind es bis zu drei Schablonen zugleich. Und die CD, die blinden Wähler*innen vorliest, an welcher Stelle welche*r Abgeordnete steht, dauert vier Stunden. Das Problem ist für May ein mangelhaftes Verständnis von Barrierefreiheit.

„Im Rahmen dessen, was der Gesetzgeber vorgibt, haben wir die notwendigen Maßnahmen getroffen“, sagte Landeswahlleiter Andreas Cors vor dem Wahlprüfungsgericht, als das Anliegen dort schon einmal ein Thema war. Das bestreitet May nicht – doch das Wahlgesetz sehe insgesamt zu wenig Barrierefreiheit vor. Eigentlich müsste die Senatskanzlei laut Landesverfassung bei Ungleichbehandlung eigenständig tätig werden. Hier sei das nicht der Fall. „Ich will Abhilfe schaffen“, sagt May. Wahlbenachrichtigungen in Braille wären ein Anfang.

May rechnet nicht damit, dass das Urteil die Landeswahlordnung für ungültig erklärt. Es wird für sie wohl nur der nächste Schritt sein, hin zum Bundesverfassungsgericht. Dort liegt schon eine Klage von May: Die Europawahl lief auch nicht viel besser. Lotta Drügemöller