Popmusik und Eigensinn Jan-Paul Koopmann
: Zwischen Welt und Weser – oder: Pop ist gar nicht so global, wie er immer tut

Foto: privat

So was träumt sonst nur in der Nacht, wer des Tags über Pop schreibt: Da taucht urplötzlich eine verschollen geglaubte Sonic-Youth-Platte aus den grungegoldenen 90ern auf, außer dir weiß kaum eine:r davon, und sie kommt auch noch aus Bremen. Das ist wie ein Geschenk für diese Kolumne, die sich – um ehrlich zu sein – vergangene Woche schon mehr oder weniger beerdigt sah. Ich könnte das erklären. Es hat mit der Themenlage zu tun, eigenen Ansprüchen und der Schlechtigkeit der Welt auch ganz grundsätzlich. Aber jetzt gerade ist es auch schon wieder scheißegal, weil hier ja schließlich diese neue Sonic-Youth-Platte auf dem virtuellen Schreibtisch liegt, die unglaublich toll ist und den aufregend nüchternen Titel trägt: „Live In Bremen 1991“.

Gemeint ist das Konzert im Aladin mit Gumball und den damals noch verhältnismäßig unbekannten Nirvana als Vorbands (die „Nevermind“ erschien recht genau einen Monat nach dem Bremer Auftritt). Von diesem Abend sind bereits mindestens zwei Bootlegs im Umlauf, immerhin 1.000-mal gepresst wurde 1994 eine Picture-LP mit neun Songs des Aladin-Konzerts. Auf Bandcamp erscheint jetzt der Band-eigene Mitschnitt. Dass es den überhaupt gibt, liegt nun daran, dass Sonic Youth auf dieser Europatournee im Sommer 1991 ihren heute legendären Konzertfilm „The Year Punk Broke“ aufnehmen. Darin sind auch Passagen dieses Konzertmitschnitts zu hören, der bedeutend größere Teil schimmelte bislang aber doch noch unerhört im Archiv vor sich hin.

Es ist aus der globalen Perspektive jedenfalls eher ein Zufall, dass diese Aufnahme aus dem nicht gerade als Grunge-Hochburg bekannten Bremen existiert. Aus der Gegenrichtung erzählt, klingt diese Geschichte dann auch gleich viel glamouröser. Denn hier an der Weser erinnert man das Konzert weniger als Gastspiel, denn vor allem als Ausgabe des legendäre Überschall-Festivals, für das kuratiert zu werden in den 90ern etwa auch der Bremer taz als Qualitätsbeweis galt. Aus dem Plattenladen Überschall wurde hier immer wieder zuverlässig ein Programm am Puls der (Indie-)Zeit gestrickt, mit Bands, deren Einladung gerade noch fundierte Szenekenntnis bewies – und die manchmal bereits im Folgejahr schon wieder als Mainstream gelten sollte.

Und es ist doch irgendwie schön, diese Asymmetrie von etwas so maximal Gegenwärtigem und eigentlich Flüchtigem wie einem Konzertabend vor beinahe 30 Jahren abzulesen: was sich da reibt und konkret wird, wenn Sonic Youth nach Bremen kommen – oder aber Bremen von Sonic Youth besucht wird. Pop ist eben längst nicht so universal, wie er immer tut, sondern muss eben auch irgendwo spielen. Das historische Konzert ist, wie gesagt, ein Geschenk für diese Kolumne. Und sei es auch zu ihrem Abschied.

Sonic Youth: „Live in Bremen 1991“, gibt es auf https://sonicyouth.bandcamp.com