: Endlich echte Bierkultur
Obwohl der Bierkonsum bundesweit sinkt, eröffnen immer mehr Brauereien. Ob die Union-Brauerei in Bremen, die Mashsee-Brauerei in Hannover oder die National-Jürgens-Brauerei in Braunschweig: Sie alle setzen auf Biere jenseits der einheitlichen Massenware
Von Simone Schnase
Es ist schon lange nicht mehr neu: Die Deutschen trinken immer weniger Bier. Wachsendes Gesundheitsbewusstsein wird oft als Begründung dafür genannt. An dieser These zweifeln lässt allerdings die Zunahme des Konsums zuckerhaltiger Biermischgetränke oder auch hochprozentiger Alkoholika in Verbindung mit Energy Drinks – und die Steigerung des Alkoholkonsums insgesamt. Nein, viel wahrscheinlicher ist: Bier, zumindest das der bekannten, großen Marken, ist schlicht uncool geworden.
Denn die typische Bier-Werbung setzt auf Tradition, Reinheitsgebot, Heimatgefühl und gutsituierte Männer (es kommen nur sehr selten Frauen vor) um die Fünfzig, die sich wahlweise am Tresen, am Strand, auf einem Schiff oder in der Natur vom harten Arbeitsalltag als Banker oder Betriebswirt erholen, in der Hand ein fast schon gefrorenes, kaltes Bier. Die Flensburger-Werbung bildet im Grunde genommen keine Ausnahme: So lustig und ironisch sie auch daherkommen will: Am Ende ist auch sie bloß ein trutschiger lokalpatriotischer Herrenwitz.
Der These mit dem Gesundheitsbewusstsein widerspricht auch, dass ja durchaus weiterhin Bier getrunken wird: Die sogenannten Craft-Biere bilden zwar zugegebenermaßen nur einen kleinen Teil der hiesigen Bierlandschaft ab, aber ihr Konsum sinkt nicht, im Gegenteil. Das liegt nicht nur an der Abwechslung, die der Trend aus den USA nach Deutschland gebracht hat – endlich gibt es auch mal etwas anderes als immer die ewig gleichen, kleinen Abwandlungen der ewig gleich schmeckenden Biere –, sondern auch an der Philosophie, die dahinter steckt.
Denn in den USA entstand „Craft Brewing“ als Gegenbewegung zu den großen Brauerereikonzernen – es ging nicht nur um Geschmack und Qualität des Bieres, sondern auch um Unabhängigkeit, Individualität und Stärkung der lokalen Märkte. Gleiches haben sich auch die hiesigen Craft-Beer-Brauereien auf die Fahnen geschrieben und bedienen damit die Bedürfnisse der stetig wachsenden Zahl jener, die auch beim Essen und bei Konsumgütern darauf achten, dass so wenig wie möglich davon mit Dingen wie ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen, Tierquälerei, Umweltzerstörung oder unfairen Wettbewerbsverhältnissen zu tun hat. Und spätestens mit der Coronapandemie ist der Satz „Support your local dealer“ tatsächlich auch in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Auch die Union-Brauerei in Bremen gehört nicht zu jenen, die unter dem rückläufigen Bierkonsum in Deutschland leiden. Geschäftsführer Lüder Kastens kaufte vor sechs Jahren die seit 1968 leer stehende Brauerei, um dort künftig wieder Bier herzustellen und vor Ort anzubieten – und das durchaus im Wissen um die schlechte Entwicklung des Bierabsatzes. Er traf mit der Reaktivierung der Brauerei einen Nerv in Bremen, denn die einst lokalen Biermarken Beck’s und Haake Beck gehören seit 2002 zum weltgrößten Bierkonzern Anheuser-Busch In-Bev. Das dritte heimische Bier namens Hemelinger fiel ebenfalls In-Bev in die Hände und wird heute nicht einmal mehr in Bremen gebraut, sondern in Braunschweig.
Kastens stand mit seiner Brauerei-Eröffnung nicht allein da, denn die Zahl der Braustätten hat bundesweit in den vergangenen zehn Jahren zugenommen, auch in Norddeutschland: 2013 eröffnete in Hamburg die Kehrwieder-Kreativbrauerei, 2014 in Hannover die Mashsee-Brauerei, 2016 bekam Wacken eine eigene Brauerei, 2017 wurde die alte National-Jürgens-Brauerei in Braunschweig wiedereröffnet. Ihnen allen gemein ist: Sie setzen auf unterschiedliche und hochwertige Biere in kleinen Margen.
Und genau das kommt an. Die Union-Brauerei hat seit ihrer Eröffnung immer wieder Lieferengpässe, die Anfrage übersteigt oft das Angebot. Getränkehändler und -abteilungen von Supermärkten verkaufen das Bier, immer mehr Kneipen ebenfalls, die damit wiederum mit der Tradition brechen, immer das gleiche Bier im Ausschank zu haben.
Denn auch das ist der Trend: weg vom Bier als Lebensmittel, das bloß Durst stillt und Nüchternheit killt, hin zu Bier als Genussmittel, das getestet und verkostet wird. Ähnlich wie Wein werden Craft-Biere im Einzelhandel flaschen- und nicht kistenweise verkauft. Das größte Gebinde ist ein Sixpack.
Die Wahrheit ist also: Dass der Bier-Konsum sinkt, liegt nicht daran, dass die Menschen kein Bier mehr mögen. Sie haben bloß keine Lust mehr auf eine „Bierkultur“, die viel zu lange nichts anderes war als das langweilige Standardsortiment weniger, riesiger Monopolisten.
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