: Ein unsäglicher Ort
Was kann man fotografieren, wenn nichts passiert? Ein Gespräch mit der Fotografin Sibylle Fendt darüber, wie für Geflüchtete im Holzbachtal die Zeit verstreicht
Interview Mathias Königschulte
Viele von ihnen waren nach Deutschland gekommen, weil sie in der Autoindustrie Arbeit finden wollten. Nun saßen die Männer im Schwarzwald fest in einer abgelegenen Unterbringung, die sie nur mit Auflagen verlassen durften, und warteten auf eine Aufenthaltserlaubnis. Über die Jahre ihres Wartens erscheint in dieser Woche das Buch der Fotografin Sibylle Fendt mit dem Titel „Holzbachtal, nothing, nothing“ (Kehrer Verlag).
taz am wochenende: Frau Fendt, was haben Sie im Holzbachtal gesucht?
Sibylle Fendt, Fotografin
Sibylle Fendt: Ich bin in der Nähe aufgewachsen. Die absurde Idee, eine leer stehende Pension in der absoluten Pampa als Unterkunft für Geflüchtete zu benutzen, die definitiv andere Bedürfnisse haben, als den deutschen Laub- und Nadelwald kennenzulernen, fand ich spannend. Ich habe gehofft, viele kuriose Porträts anfertigen zu können, in denen sich die Geflüchteten durch diese urdeutsche Landschaft bewegen.
Aber?
Die Jungs bewegten sich gar nicht. Es gab den einen Blick auf den gegenüberliegenden Wald, den ich immer wieder fotografierte, dieses Draußen. Und dann gab es das Drinnen, die Jungs, wie sie in ihren zugehängten Zimmern saßen. Nach einigen unbefriedigenden Versuchen, mit den Männern Spaziergänge durch den Wald zu machen, habe ich beschlossen, das zu fotografieren, was ist, nämlich das Rumhängen und Zeitverstreichenlassen. Allein die Idee, einen Spaziergang zu machen, fanden die Männer schon absurd!
Sicher haben sie nicht gerade darauf gewartet, von jemandem so beharrlich fotografiert zu werden. Wie wurden Sie aufgenommen?
Ich glaube, ich war für die Bewohner in erster Linie eine willkommene Abwechslung. Ich war der einzige Mensch, der nicht als Geflüchteter dort Stunden und Tage verbracht hat, fast ohne Sinn und Zweck. Und der mit ihnen Deutsch geredet, etwas vom Leben in Deutschland erzählt hat. Ich habe mich gefreut, im Holzbachtal zu fotografieren. Die Männer fanden das wohl auch in Ordnung. Komisch fanden sie mich natürlich trotzdem, und manchmal kam es auch vor, dass sie keine Lust drauf hatten, schon wieder fotografiert zu werden.
Sie sagten einmal, Sie wollten „keine Opfer zeigen“, nicht „den Geretteten“, „den Wartenden“, „den Enttäuschten“ oder „den Dankbaren“. Das alles würde in Porträts hineininterpretiert. Warum soll das bei Ihrer neuen Arbeit anders sein?
Wenn man nur für wenige Stunden an einem Ort ist, der mit der eigenen Lebensrealität wenig zu tun hat, kann man eigentlich nur Klischees fotografieren. Oder eben irgendetwas, das man in die Menschen hineininterpretieren möchte. Im Holzbachtal habe ich drei Jahre lang immer wieder mehrere Tage am Stück verbracht. Vielleicht habe ich dadurch eine gewisse Berechtigung erlangt, die Männer zu fotografieren und zu behaupten, dass dies ein authentischer Blick ist. Trotzdem ist mir absolut bewusst, wie viel uns voneinander trennt. Es wäre anmaßend, zu behaupten, dass ich ihre Lebenssituation nachempfinden kann.
Oft geht der Blick eines Porträtierten an Ihnen vorbei. Als verweigere er sich, für andere ein Bild abzugeben?
Ich habe wahnsinnig viele Bilder, auf denen der Porträtierte direkt in die Kamera schaut. Oft berührt mich das Bild aber mehr, wo dies nicht der Fall ist, weil er dann ganz bei sich und weniger bei mir ist.
Bei einem fotojournalistischen Bild ist manchmal nicht klar, ob der Fotograf oder der Fotografierte bestimmt, wie das Bild gelesen wird. Ein Mensch auf der Flucht, der ein Plakat in die Kamera hält, ist sich der Wirkung des Bildes wohl bewusst. Er wird in dem Bild zu einem politischen Akteur. Wie ist es hier?
In erster Linie möchte ich mit meiner Arbeit diesen unsäglichen Ort zeigen, an dem Geflüchtete untergebracht sind und was das mit den Menschen macht. Ich zeige damit vor allem auch ein deutsches System, das das in Kauf nimmt. Gleichzeitig habe ich Protagonisten, die zulassen, dass ich ein bisschen in sie hineinschauen darf, und das berührt mich sehr.
Die sogenannte Flüchtlingskrise führte 2015 auch zu einer gewaltigen Produktion von Bildern, die Menschen auf ihrer Flucht zeigen. Sie haben diese Bilder kritisiert, weil sie dazu beitragen würden, öffentliche Erregungszustände noch zu befeuern.
Fotografie hat die Option, reißerisch zu sein. Es gibt immer Fotografen, die genau das an der Fotografie interessiert und die an die Kraft dieser Bilder glauben. Ich käme mir immer noch wie ein Dieb vor, aber das sind wir wahrscheinlich so oder so. Diebe mit Verantwortung. Das Fatale ist ja, dass im Moment selbst die tragischsten Bilder aus brennenden Flüchtlingscamps gefühlt gar keine Wirkung mehr zeigen, da wir alle mit unserer Coronakrise voll gesättigt sind.
Sibylle Fendt ist Verwaltungsprofessorin an der Hochschule Hannover im Studiengang Dokumentarfotografie und Fotojournalismus und Mitglied der Agentur Ostkreuz.
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