Eine Petition zum Grundeinkommen: „Das Geld ist unser Geld“
Tonia Merz betreibt eine Manufaktur für Korsetts und hat während der Coronakrise eine Petition fürs bedingungslose Grundeinkommen gestartet.
taz: Frau Merz, wie geht es Ihrem Unternehmen derzeit?
Tonia Merz: So langsam geht es wieder ein bisschen los, aber kein Vergleich zum Umsatz, den wir sonst im Juni haben. Unsere wichtigste Messe wäre im Mai gewesen und ist ausgefallen, allein dadurch fehlen uns an die 20 Prozent unseres Jahresumsatzes. Unsere Korsetts sind maßgeschneidert, und viele Menschen wollen nach wie vor keine Termine machen. Außerdem sind alle Events und Partys ausgefallen, wo man gern Korsett trägt. Keine Hochzeiten, keine Clubs, kein Wave-Gothic-Treffen. Und die Opern- und Theaterhäuser, für die wir Korsetts anfertigen, liegen ja auch auf Eis. Also, es knirscht gewaltig. Wider Erwarten retten uns derzeit nur die Masken, die wir spontan entworfen und angefertigt haben.
Können Sie den Einbruch schon beziffern?
30 Prozent sicher. Ich fürchte, der große Katzenjammer kommt aber erst noch. Wir hatten noch ein paar offene Aufträge, aber jetzt Nachschub zu generieren wird schwierig.
Also wäre das Grundeinkommen für Sie nach wie vor hochwillkommen?
Absolut. Im Augenblick drücke ich mich noch davor, für mich Grundsicherung zu beantragen. Wie viele Selbstständige habe ich ein großes Bedürfnis, es allein zu schaffen. Man ist es gewohnt, von der Hand in den Mund zu leben. Aber ich müsste es eigentlich tun. Die Soforthilfe vom Senat ist natürlich längst weg – Miete, Versicherung …
Wie kamen Sie denn aufs Grundeinkommen?
arbeitet seit 19 Jahren als selbstständige Modedesignerin in Berlin. Sie hat fünf Angestellte und ist Inhaberin einer Korsett-Manufaktur.
Ich war nicht sehr tief im Thema, bin ja auch keine Aktivistin fürs bedingungslose Grundeinkommen. Aber als ich die erste Pressekonferenz von Olaf Scholz und Peter Altmaier am Freitag, 13. März, gesehen habe, war mir auf der Stelle klar, was da für eine Welle kommt. Und ich habe sofort gedacht: Die Ämter werden zusammenbrechen. Und: Das wäre jetzt eigentlich der richtige Moment für ein Grundeinkommen. Ich habe das dann mal kurz bei Facebook in den Raum geworfen und wurde sofort mit Reaktionen überhäuft. Vier Stunden nach dieser Pressekonferenz stand meine Petition.
Haben Sie mit der Zustimmung gerechnet, die Sie dann bekamen?
Nein. Ich wusste zwar, dass in Berlin sehr viele Menschen von der Krise betroffen sind. Aber dass inzwischen bundesweit fast eine halbe Million Menschen die Petition unterschrieben haben, das hätte ich nicht erwartet.
Wie kamen Sie auf die 1.000 Euro, die Sie fürs Grundeinkommen vorschlagen?
Ich denke, ein Grundeinkommen ist ja kein Haupteinkommen. Außerdem: 1.000 Euro im Monat für sechs Monate kosten etwa 500 Milliarden – und das muss sich ein Land erst mal leisten können.
Die Gegner des Grundeinkommens wiederholen seit Jahren vor allem zwei Bedenken: Die Menschen werden auf der faulen Haut liegen, und die Menschen werden keine Drecksarbeit mehr machen wollen. Was erzählen Sie denen?
Während der Krise durften die Menschen gar nicht arbeiten.
Und nach der Krise?
Alle Studien zeigen, dass die Menschen nicht aufhören würden zu arbeiten. Wer heute in Deutschland nicht arbeiten will, der kommt auch schon jetzt durchs System. Wenn genau diese Leute aber Grundeinkommen bekämen und nicht immer wieder im Jobcenter antanzen müssten, dann würden sie vielleicht auch ein anderes Selbstbild entwickeln. Und ja: Bestimmte Arbeiten müssten besser bezahlt werden, damit sie attraktiv bleiben. Das finde ich aber auch in Ordnung.
Also sind Sie auch für ein Grundeinkommen nach der Krise?
Ich dachte einfach, die Krise sei eine richtig gute Chance für einen großflächigen Versuch. Aber eigentlich bin ich auch fürs Grundeinkommen danach.
Wie sind denn bislang die Reaktionen aus der Politik?
Nicht vorhanden. Derzeit versuchen wir, an Hubertus Heil heranzukommen. Inzwischen gibt es sechs unbeantwortete Mails. Die Politik spielt einfach auf Zeit. Es wurde zweimal im Petitionsausschuss abgestimmt, ob unsere Petition, also die Petition der Aktivistin Susanne Wiest, der meine und vier weitere angegliedert wurden, vorgezogen werden könnte. Keine Chance.
Warum stellt sich unser Staat so stur?
Es liegt nicht so sehr am Geld, sondern eher an der Macht. Die Gewerkschaften zum Beispiel, die haben eindeutig Angst vor Bedeutungsverlust. Ich glaube, der Staat traut seinen Bürgern zu wenig zu. Vielen in der Politik und der Verwaltung ist die Vorstellung unheimlich, dass der Bürger nicht mehr Bittsteller sein soll. Dabei sind wir alle zusammen der Staat. Das Geld, das da verwaltet wird, ist unser Geld.
Was würden Sie selbst tun, wenn Sie ab sofort Grundeinkommen bekämen?
Ich würde so weiterarbeiten wie bisher. Nur, dass ich besser gewappnet wäre. Ich hätte weniger Angst vor Ausfällen durch Krankheit und vor der Rente.
Sie wären also einfach entspannter?
Genau. Und ich hätte die Möglichkeit, auch mal etwas weniger effizient zu arbeiten und stattdessen etwas Neues zu entwickeln.
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