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: Alter, erfahrener Wellensittich, dringend gesucht!

Eine Freundin, Barbesitzerin, erzählte, dass die fidelste ihrer Angestellten seit der Nachverfolgungspflicht mit jedem männlichen Gast den gleichen Witz macht: „Gibst du mir noch deine Telefonnummer? Vielleicht ruf ich dich ja mal an!“ Nun ja. Wenn’s dem Trinkgeldanstieg dient.

Selbige fidele Barfliege sehe ich am Sonntag bei einem kleinen Open-Air-Eckkonzert tanzen, das anstatt der Féte de la Musique spontan aus dem Ärmel geschüttelt wurde. Alles klingt noch etwas rostig und quietschig – aber wie hätte man auch gemeinsam proben sollen, während des Lockdowns? Das Problem an Zoomkonferenzen ist schließlich das, was sie so verlockend für Narzisst*innen macht: Man kann immer nur einem einzigen Menschen zuhören. Durcheinanderreden geht nicht, gemeinsam (in verschiedenen Stimmen) singen oder Musik proben erst recht nicht.

Apropos Singen: Beim gleichen Konzert erzählt mir eine andere Freundin, dass einer der beiden Familienwellensittiche eingeschläfert werden musste, der andere säße seitdem mucksmäuschenstill auf der Stange, lasse den Schnabel hängen und leiste Trauerarbeit. Sie habe versucht, einen neuen zu kaufen, genauer gesagt einen neuen alten, denn ein gerade mal dem Kükenalter entwachsener Vogel, dem noch die Eierschale auf dem Kopf klebt, sei für den anderen zu anstrengend. Wahrscheinlich würde der neue ständig ausfliegen und den ganzen Tag dummes Zeug zwitschern wollen. Doch der Markt für alte, erfahrene Wellensittiche scheint überschaubar zu sein: Zuerst habe man ihr einen angeboten, bei dem nur noch ein Flügel geht, dann einen grauen Star. (Vielleicht habe ich auch nicht richtig zugehört.)

Jedenfalls untersuchen Forscher*innen momentan, wie sich die Coronakrise auf die Tierwelt auswirkt – also nicht, ob Hühner, Pudel und Meerschweinchen sich anstecken und was dann passieren könnte, sondern ob der Rückzug der Menschen aus öffentlichen Räumen einen Einfluss auf Tiere hat. Darauf deutete zunächst einiges hin: In Santiago de Chile laufen angeblich Pumas frei herum, und ich meine nicht die Turnschuhmarke. Zudem kursieren immer noch Fotos durchs Internet, auf denen Schwäne in den Wasserstraßen Venedigs paddeln und Delfine im Hafen von Triest auf- und abtauchen. Doch sowohl die Venedig-Schwäne als auch die Triester Delfine wurden bereits eindeutig als Fake nachgewiesen. Irgendwie schade – man möge das nicht falsch verstehen, aber Delfine habe ich doch noch ein bisschen lieber als Wespen, schlichtweg weil sie mir seltener ins Bierglas springen.

Mit Freude hatte ich auch die als Fake News entlarvte Meldung von den Elefanten geglaubt, die zu Coronazeiten durch das quarantänebedingt menschenleere Yunnan tröteten, literweise die chinesische Spezialität Maiswein soffen und sich dann zum Auskatern nebeneinander in eine anliegende Teeplantage hauten. Die Eles seien gar nicht betrunken gewesen, hieß es kurz darauf zwar, aber ehrlich gesagt: Die Ausrede kenn ich! Und das Bild von den schlafenden (und schnarchenden, bei den Rüsseln!) Elefanten ist dennoch beruhigend.

Zumindest sollen jetzt, während der sogenannten Anthropause, jede Menge Tiere mit Sendern ausgestattet werden, um Daten zu sammeln und diese in Richtung Biodiversität auszuwerten. Einige Daten kann ich bereits beisteuern: Ich kenne den üblichen Weg des Fuchses aus unserer Nachbarschaft gut, wir begegnen uns regelmäßig. Meist schnürt er recht desinteressiert an mir vorbei, nur neulich, als ich frisch gefärbt vom Friseur kam und auch noch eine fuchsbraune Jacke trug, musterte er mich neugierig. Beziehungsweise neidisch. Er ist nämlich schon ziemlich grau. Jenni Zylka