SPD-Abgeordnete steigt aus: „Wir müssen uns wieder Ziele setzen“
Nach neun Jahren im Abgeordnetenhaus will die SPD-Abgeordnete Clara West nicht wieder antreten. Ein Grund: mangelnde Debattenkultur ihrer Fraktion.
taz: Frau West, hat Raed Saleh, der Fraktionsvorsitzende der SPD im Abgeordnetenhaus, schon versucht, Sie umzustimmen?
Clara West: Bislang nicht. Nein.
Sind Sie ihm seit Ihrer Ankündigung persönlich begegnet?
Persönlich nicht. Nur in einer Telefonschalte. Da gibt es natürlich wenig Gelegenheit, sich darüber zu unterhalten.
Sie haben vor zwei Wochen bekannt gegeben, im kommenden Jahr nicht mehr für das Abgeordnetenhaus kandidieren zu wollen. Zur Begründung schrieben Sie auf Facebook: „Ein Mandat ist kein normaler Job. Es kann nie Selbstzweck sein. Meiner Überzeugung nach ist es immer damit verknüpft, dass man in einer bestimmten Rolle und in bestimmten Aufgaben etwas verändern kann.“ Konnten Sie nichts mehr verändern?
Für jetzt kann ich das gar nicht sagen, aber so etwas ist auch immer ein Blick in die Zukunft. Ich wollte nicht den Moment abwarten, wo ich morgens aufwache und feststelle, dass ich das nicht mehr kann oder dass es nicht mehr weitergeht. Ich wollte lieber vorher von mir aus die Entscheidung treffen und sagen: Nichts kann ewig so bleiben, also ist es endlich. Wie heißt es so schön: Man soll immer gehen, wenn es am schönsten ist.
Wann ist der Entschluss in Ihnen gereift?
Ich habe mir damit Zeit gelassen. Gegen Anfang der Wahlperiode habe ich mir vorgenommen, nach zwei Jahren Bilanz zu ziehen, auch um auf die Frage eine Antwort zu finden, die dann immer kommt: Trittst du nochmal an? So ist es dann gekommen mit der Entscheidung. Aber natürlich war es auch eine Abwägung zwischen den verschiedenen Pros und Contras.
Clara West
1981 geboren, gewann 2011 und 2016 Direktmandate in Pankow. West ist Haushaltspolitikerin und Beauftragte der Fraktion für Musik- und Clubkultur.
Wenn Sie sagen, man soll gehen, wenn es am schönsten ist: War es denn noch schön für Sie? Und welche Rolle spielte dabei der Fraktionsvorsitzende? Mit 13 anderen Abgeordneten gehörten Sie Ende 2017 zu den Verfasserinnen eines offenen Briefs an Raed Saleh. Darin haben Sie ihm einen Egotrip vorgeworfen und dass er sich zu wenig um die Fraktion kümmere.
Meine Entscheidung war nicht von einer einzelnen Person abhängig. Es ging auch darum, ob ich das Gefühl habe, neue Ideen einbringen oder neue Projekte anstoßen zu können.
Immerhin gab es nach dem Brief eine Aussprache in der Fraktion, und Raed Saleh hat Besserung gelobt.
Alles in allem würde ich sagen, dass sich nicht viel geändert hat. Zumindest nicht so, wie ich mir das vorgestellt habe. In dem Brief ging es auch darum, wie wir uns eine Arbeit in der Fraktion vorstellen. Dass es auch mehr Diskussionen um Themen gibt. Also mehr Streit um Positionen.
Und das gab es nicht?
Vielleicht ist das ein generelles Problem der SPD. Es gibt viele dringende Fragen, auf die wir Antworten finden müssen. Wir müssen uns wieder Ziele setzen. Das entsteht aber nicht durch schweigenden Konsens, sondern durch inhaltliche Debatten.
Sie hätten auch selbst Ihren Hut in den Ring werfen und als Fraktionsvorsitzende kandidieren können.
Das ist richtig. Wichtig wäre aber gewesen zu schauen, ob man was Gemeinsames hinbekommt. Das war aber nicht möglich. Da hätte auch eine einzelne Kampfkandidatur nicht weitergeholfen.
War die festgefahrene Situation in der Fraktion ausschlaggebend für Ihre Entscheidung?
Es spielten verschiedene Faktoren eine Rolle. Da ist die Lage der Gesamtpartei. Die SPD tut sich schwer damit, in Debatten neue Inhalte zu finden. Entweder wir gehen diesen Diskussionen aus dem Weg oder wir führen sie an der falschen Stelle. Da habe ich schon lange das Gefühl, dass wir uns im Kreis drehen und nicht weiterkommen.
Nun versucht die Berliner SPD gerade etwas Aufbruchstimmung zu verbreiten. Der Landesvorsitz wird in diesem Jahr neu gewählt, Franziska Giffey soll mit Raed Saleh eine Doppelspitze bilden. Mit Giffey als potentieller Spitzenkandidatin rechnet sich die SPD im Wahljahr auch Chancen aus, das Umfragetief zu verlassen. Glauben Sie an diesen Aufbruch?
Ich gebe ehrlich zu, dass ich nach 24 Jahren in der SPD nicht mehr so wahnsinnig schnell enthusiastisch werde. Ich finde es aber eine gute Sache, mit Franziska Giffey etwas Neues zu versuchen. Nun könnte man auch sagen, dass das ein Hinterzimmerdeal war. Aber ich sehe das nicht so negativ. Wenn ich sehe, wie unfähig man teilweise ist, überhaupt miteinander ins Gespräch zu kommen, dann ist das eine gute Lösung.
Sie beklagen, dass sich die SPD schwer damit tut, personalpolitische Entscheidungen einvernehmlich zu lösen. Schauen Sie da auch mit ein wenig Neid auf die Grünen? Da steht die Frage im Raum, wer Spitzenkandidatin wird, aber das wird bisher sehr geräuschlos ausgetragen.
Ich bin gar nicht so eine Geschlossenheitsfanatikerin. Es kommt doch immer darauf an, über was man redet. Warum soll man nicht deutlich machen, wenn es verschiedene Positionen gibt? Entscheidend ist, dass es einen Diskussionsprozess gibt, der am Ende ein Ergebnis hat, das man miteinander trägt. Aber es ist schwierig, die SPD mit den Grünen zu vergleichen.
Warum?
Weil wir an einem anderen Punkt stehen. Die SPD befindet sich in einer nicht gerade einfachen Ausgangslage. Wir müssen erst mal einen Konsens finden, wie wir uns in den nächsten Jahren aufstellen. Bei den Grünen ist das nicht so grundsätzlich wie bei uns.
Warum nicht?
Die Grünen sind im Moment in einer Position, wo sie relativ gut dastehen. Bei uns geht es ja immer noch darum zu fragen, wie schaffen wir es, unserem Anspruch gerecht zu werden, eine Volkspartei zu sein. Bei den Grünen ist die Frage, wer sind wir eigentlich und wozu braucht es uns, nicht ganz so im Vordergrund wie bei uns.
Wo steht Rot-Rot-Grün Ihrer Ansicht nach gerade?
Wir bleiben schon hinter dem Potential zurück, was man haben könnte.
Haben Sie ein Beispiel?
Das Thema Zusammenarbeit und die Entwicklung von gemeinsamen Projekten, da gibt es noch Luft nach oben. Wir haben zwar gute Dinge auf den Weg gebracht, vom Mietendeckel bis zum kostenlosen Schulessen. Aber oft war das alles auch ein organisiertes Einzelkämpfertum. Da würde ich mir wünschen, dass wir da mehr als Koalition auftreten.
Ist das Binnenklima bei Rot-Rot-Grün unterm Strich besser als in Ihrer Partei?
Das kann man so pauschal nicht vergleichen. In beiden Bereichen gibt es Leute, mit denen man sehr gut zusammenarbeitet, woanders klappt es nicht so gut.
Hätten Sie sich in der Vergangenheit mehr Unterstützung aus Ihrem Kreisverband in Pankow gewünscht?
Zum Teil ja.
Sie wollten 2015 Kreischefin werden, haben aber nur 38,7 Prozent der Stimmen bekommen.
Ich hatte vielleicht seitdem auch nicht mehr die Erwartung, dass aus meinem Kreis sich alle ständig bemühen zu unterstützen, was ich tue. Ich kann aber auch nicht sagen, dass da gezielt gegen meine Arbeit auf der Landesebene gearbeitet wurde. Der Kreis war bei meiner Entscheidung kein besonders entscheidender Faktor.
Könnte es sein, dass Sie mit Ihrer Entscheidung einem Votum des Kreises zuvorgekommen sind? Dass Sie vielleicht nicht mehr als Direktkandidatin in Ihrem Wahlkreis hätten antreten können oder einen schlechten Listenplatz bekommen hätten?
Da kann man viel erzählen, aber das hat an der Stelle wirklich gar keine Rolle gespielt. Ich gehe davon aus, dass es sehr unwahrscheinlich gewesen wäre, dass mir meinen Wahlkreis jemand streitig machen würde.
Wenn Sie auf neun Jahre Abgeordnetenhaus zurückblicken, wo haben Sie Ihrer Ansicht nach die meisten Spuren hinterlassen?
Von den Themen her vor allem Verwaltungsreform. Ein breites Feld, wofür ich aber eine gewisse Leidenschaft entwickelt habe. Allerdings hätte ich mir da gewünscht, etwas mehr zu erreichen als uns bisher gelungen ist. Aber vieles ist angeschoben worden.
Die digitale Akte ist bis auf Weiteres vertagt.
Das würde ich so nicht sagen. Es gibt jetzt immerhin den Verwaltungspakt. Vor ein paar Jahren war die Stimmung noch: Wie machen hier ein bisschen was und da. Jetzt gehen wir grundsätzlicher an das Thema heran.
Ihr Partner wurde vor einigen Jahren bei einer Wahlkampfveranstaltung angegriffen und verletzt. Politikerinnen und Politiker werden immer mehr zu Zielscheiben. Wie ist das bei Ihnen?
Als Politikerin bin ich natürlich jederzeit auf dem Präsentierteller. Das heißt auch, dass Leute sich an einem in verschiedenster Form abarbeiten. Da war so ziemlich alles mit dabei. Es gab sogar Drohungen gegenüber meinen Mitarbeitern, was mir sehr nahegegangen ist. Auch mein Bürgerbüro ist regelmäßig angegriffen worden, es gab eingeschlagene Scheiben, Eierwürfe, Farbbeutel. Das nagt an einem. Aber es gibt auch viel Zuspruch.
Sie sind Diplompädagogin von Beruf. Haben Sie schon einen Job?
Nein, aber das ist ja noch eine ganze Zeit hin. Wenn ich jetzt eine Bewerbung rausschicke, dann krieg ich die Antwort, melden Sie sich nächstes Jahr nochmal. Ein paar Sachen kann ich aber ausschließen.
Welche?
Ich würde sehr ungern etwas machen, wo sich meine jetzigen Wirkungskreise mit den zukünftigen zu doll überschneiden.
Also das Sigmar-Gabriel-Prinzip scheidet aus.
Definitiv. Ich hoffe nicht, dass ich jemals so werde wie Sigmar Gabriel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Etgar Keret über Boykotte und Literatur
„Wir erleben gerade Dummheit, durch die Bank“
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Telefonat mit Putin
Falsche Nummer
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen