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: Ein Rapper mit Dackel – Neukölln, wir gehen hart!

Es war seltsam, in der leeren Wohnung der Patientin null zu stehen. Die Wohnung war sauber und aufgeräumt, und selbst die Blumen auf dem Balkon, die zu gießen ich beauftragt worden war, schienen gesund und vital. Die Patientin null ist ­natürlich nicht die Patientin null, aber die eine von zwei, die ich kenne, die nachgewiesen krank waren, gleich am Anfang im März, ohne zu wissen, wo sie sich angesteckt haben könnte. Sie ist meine Patientin null, ich liebe sie sehr.

Während sie verdientermaßen mit ihren Eltern in die Berge gefahren ist, habe ich meinen Urlaub jetzt gecancelt, es ist ja nicht so, als ob Corona vorbei wäre. Andererseits schreitet die Normalisierung voran. In Brandenburg darf wieder breitensportlich Fußball gespielt werden, in Berlin gilt die Regelung nur für ausgesuchte, weit oben stehende Klubs. Natürlich regt sich Protest, schließlich sollten Lockerungen, egal wie medizinisch korrekt sie sind, doch für alle gelten.

Auch in der Gastronomie tut sich was. Allerdings blickt kaum noch jemand durch. Die neueste Verordnung ist morgen schon wieder das Bier von gestern. Was einmal galt, gilt längst nicht mehr, alles ändert sich, und das sehr schnell. Wir sitzen erst brav zu zweit mit Abstand zum nächsten Tisch vor dem sowohl urigen wie szenigen Lokal bayerischer Anmutung in Neukölln; die Gästeliste wird ausgefüllt, der Weg zum Klo nicht ohne Maske angetreten.

Am Ende des Abends aber haben wir teilweise zu fünft am Tisch gesessen, der Nachbartisch war ebenso besetzt, und das mit den Masken war dann auch irgendwann egal. Und die Sperrstunde ist längst aufgehoben oder vielleicht auch nicht, niemand weiß es. Sperrstunde, sagt ein befreundeter Gastronom an unserem Tisch, ist an sich gar keine schlechte Idee. Die einen trinken schneller, die anderen sind schneller mit der Arbeit fertig. Beide Parteien kommen früher nach Hause, also früher ins Bett. „Früh voll ist früh zu Haus.“

Ich denke daran, dass es in den neunziger Jahren in Köln noch eine Sperrstunde gab, fast alle Kneipen mussten um 1 Uhr schließen; danach sammelten sich die Süchtigen in den drei, vier Nachtbars, die noch öffnen durften. Vor Berlin hatte man deswegen immer Angst: die Stadt ohne Sperrstunde. Das bedeutete lange Nächte bis zum Morgenlicht, aus der Bar gleich zum Bäcker kriechen – ein geregeltes Leben schien unter den Umständen unmöglich. Aber diese Zeiten waren dann doch lange vor Corona vorbei.

Ganz so lange sitzen wir also nicht, lustig ist es aber trotzdem. Am Ende gibt es Leberkässemmeln für lau, und ein hessisch-algerischer Rapper kommt an unseren Tisch, weil wir sein T-Shirt lustig finden. „Just hustle“ steht darauf. Kann man mit „drängeln“, aber auch mit „anschaffen gehen“ übersetzen, überlegen wir. „Gab es für 4,99 Euro bei New Yorker“, sagt der afrohessische Rapper. „New Yorker, die Zeitschrift?“, fragt einer, der bei der Zeitung arbeitet. Die anderen lachen. Dann erzählt der Rapper, dass er Frau und Kind und Dackel hat, obwohl, im Moment nicht, weil es Ärger gibt mit der Frau. Ein Rapper mit Dackel! Neukölln, wir gehen hart!

Am nächsten Tag wirken dann die drei Bier und zwei Schnäpse. Hoffentlich auch ­gegen Corona. Das doofe Pokalfinale schaue ich mir schließlich alleine an.

René Hamann