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Pokalfinale im Berliner OlympiastadionSpiel ohne Menschen

Erstmals gibt es ein Pokalfinale ohne Publikum im Olympiastadion – zur Enttäuschung der hiesigen Leverkusen-Fans (ja, es gibt sie).

Schon gruselig, so leer. Halt angerichtet für ein Geisterspiel Foto: Andreas Gora/dpa

Berlin taz | Man ist schon ein heftiger Exot als Fan von Bayer Leverkusen in Berlin. Umso mehr, wer so satt berlinert wie Erwin Schuster und sich damit als gebürtiger Hauptstädter ausweist. „Die meisten Berliner reagieren sehr erstaunt“, kommentiert er. Der Mann aus Schöneweide ist Kneipenwirt und zugleich Gründer des „Bayer 04 Fanclub Schöneweide“, seines Zeichens einziger Bayer-Leverkusen-Fanklub der Hauptstadt. Die häufigste Reaktion sei: „Wie kommen Sie denn dazu?“

Nun, Erwin Schuster hat mal in Leverkusen gearbeitet, noch vor der Wende war das, und die Bayer-04-Liebe eben mitgebracht. Ein einzelner Verrückter ist er hier wahrlich nicht mehr. Sein 2014 gegründeter Fanklub beherbergt mittlerweile an die zwanzig Mann, alles Berliner, kein einziger gebürtiger Leverkusener. Und das Herren-DFB-Pokalfinale am Samstag wäre ihr Höhepunkt der Saison, eigentlich. „Es bedeutet mir sehr viel.“ Zugleich, schiebt Schuster sofort nach, sei er „sehr enttäuscht“. Denn ins Stadion darf er beim Geisterpokalfinale von Leverkusen gegen die Bayern nicht.

„Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin“, so protzen Fans seit Jahrzehnten im DFB-Pokal, wenn ihr Team sich fürs Finale qualifiziert hat. Seit 1985 ist Berlin fester Austragungsort bei den Männern. Mit Corona aber fährt nun plötzlich überhaupt niemand mehr nach Berlin, jedenfalls machen es keine Massen. Der Bayer 04 Fanclub Schöneweide lud Genossen aus Leverkusen ein, die ebenfalls nicht kommen werden. Eigentlich könnte das Finale also auch überall anders stattfinden.

Und warum überhaupt Berlin? Bis 1984 wurde der Spielort spontan festgelegt, oft je nachdem, wo sich die beiden Finalisten günstig auf halber Strecke treffen konnten. Am häufigsten traf man sich bezeichnenderweise in Hannover. Die Änderung war eigentlich nur Beifang eines politischen Kompromisses. Als Deutschland die Männer-EM 1988 ausrichtete, wollte man Westberlin nicht als Spielort vorschlagen, um den Ostblock nicht zu verprellen. Als Trostpflaster bekam der Berliner Westen für fünf Jahre das Pokalfinale geschenkt. Und die Fans sprangen voll drauf an. So blieb das Finale hier.

Berlin, Berlin...

Finale: Der unter Fans beliebte Schlachtengesang „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin“ hat zwar mittlerweile eine lange Tradition, wurde so aber nicht immer schon gesungen. Bis 1984 nämlich fanden die Endspiele um den DFB-Pokal der Herren an wechselnden Orten statt. Immerhin seit 1985 kickt man aber ununterbrochen im Berliner Olympiastadion um den Pokal. Mit einer Premiere an diesem Wochenende: Erstmals findet coronabedingt das Finale im Stadion ohne Zuschauerbeteiligung statt.

Fernsehen: Zuschauen ist am Samstag, 4. Juli, beim Spiel von Bayer 04 Leverkusen gegen den FC Bayern München mit dem gebotenen Abstand möglich: Unter anderem die ARD überträgt das Pokalfinale live aus dem Berliner Olympiastadion, Anstoß ist um 20 Uhr.

Die wirtschaftliche Bedeutung

Welche wirtschaftliche Bedeutung das überhaupt für Berlin hat und welche Mindereinnahmen jetzt drohen, all das berechnet aber offenbar niemand. Die Senatsverwaltung für Inneres und Sport verweist an die KollegInnen von der Wirtschaft. Die wissen es auch nicht und kontaktieren daraufhin die Tourismusorganisation visitBerlin, der ebenfalls keine Zahlen vorliegen. Sie verweist lediglich etwa auf den „Fairmas Hotel-Report“ des vergangenen Jahres, in dem zu erfahren ist, dass das DFB-Pokalfinale 2019 in der Hotelbranche enttäuschte.

In einer Studie der Investitionsbank Berlin (IBB) heißt es, die BesucherInnen aller Berliner Sportevents hätten 2017 insgesamt 150 Millionen Euro ausgegeben. Das Pokalfinale wird jedoch nicht gesondert aufgeführt. Ist es wirklich möglich, dass die Hauptstadt seit Jahrzehnten ein Event ausrichtet, von dem sie nicht weiß, was es einbringt? Ein Sprecher der Senatsverwaltung zitiert die IBB-Studie: Zur tatsächlichen Höhe der Umsätze durch Sporttourismus gebe es „keine hinreichenden Indikatoren“, die Informa­tions­basis zum Nachfrageverhalten sei „höchst unvollkommen“.

Klar ist, mögliche Einnahmen werden in diesem Jahr deutlich geringer ausfallen. Keine Fans, die mindestens eine Nacht im Hotel buchen, keine Souvenirs, keine Kneipentouren oder indirekten Marketingeffekte.

Dennoch dürften Berliner Kneipen minimale Mehreinnahmen verzeichnen. Leverkusen-Fan und Kneipenwirt Erwin Schuster berichtet: „Normalerweise sind bei mir im Moment nur Stammgäste. Die meisten anderen Leute haben Angst vor dem Virus. Aber zum Fußball reicht es noch, das ist das beste Geschäft.“ Etwa zehn bis zwanzig Leute kämen zu Liveübertragungen, das helfe schon. „Die finanziellen Verluste waren schon einschneidend.“

Coronahilfen hielten Schuster bislang über Wasser. Beim Lokalmatador Hertha BSC starteten Fans derweil eine Aktion Hertha-Kneipe und spendeten an jedem Spieltag an je eine Hertha-Fankneipe für virtuelles Bier. An neun Spieltagen seien allein durch Direktspenden mehr als 17.000 Euro zusammengekommen.

Als Stammkneipe eines Bayer-Leverkusen-Fanklubs steht man freilich nicht auf Hertha-Spendenlisten. Immerhin, langsam laufe das Geschäft wieder an. Schuster wird das Spiel nun in der Kneipe schauen, mit gemischten Gefühlen. Wie so viele ist er wenig angetan von Geisterspielen, zugleich sichern auch sie seine Existenz. Er erklärt: „Es macht einfach keinen Spaß, im Moment Fußball zu gucken. Da kann ich genauso gut auf den Bolzplatz gehen.“ Aber sportlich, da sei er guter Dinge. „Wir sind ja mal dran. Bayern hat genauso Angst vor uns. Wir sind alle optimistisch.“

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