berlin viral
: Wo die wilden Schweine wohnen

Freunde lachen mich gern aus, weil ich gern lang vorausplane. Bahntickets, Kulturveranstaltung: Ich finde es nicht toll, aber auch nicht schlimm, mich festzulegen. Schließlich vergeht die Zeit mittlerweile so schnell, da macht es kaum einen Unterschied, ob ich für übermorgen Pläne mache oder für in drei Monaten. Ob ich wirklich Lust zu etwas habe, weiß ich ja sowieso erst, zehn Minuten bevor es anfängt. Dann wäre es so oder so zu spät, man musste längst auf dem Weg sein. Und bleibt dann erst recht auf dem Sofa.

Doch da hat man in den letzten Monaten ja wirklich genug Zeit verbracht. Meine Bereitschaft vorauszuplanen ist deshalb eher noch gewachsen, seit man allerortens auf Zeitslots und Onlinebuchung setzt. Beim Freiluftkino zum Beispiel bin ich zur Zeit schwer hinterher, schließlich ist der Innenhof des Bethanien der vielleicht schönste Ort Kreuzbergs. Die anderen sind auch nicht übel.

Endlich wissen es meine Freunde zu schätzen, wenn ich mich um die Freizeitgestaltung kümmere, und freuen sich, wenn ich Tickets reserviere – wenigstens gibt es noch welche, wenn man weit genug plant. Langsam ist bei vielen die Erkenntnis angekommen: Man muss mitnehmen, was stattfindet, solange es draußen stattfindet. Denn der nächste Winter kommt bestimmt. Und der wird extra unwirtlich, weil alles, was normalerweise über den Winter hilft, dann vielleicht gar nicht mehr stattfinden kann.

Als ich unlängst in der Zeitung las, dass man in Brandenburg wieder in die Sauna darf, kriegte ich fast Schnappatmung – sind die Schwitzkammern neben Konzerten doch das, was ich am allermeisten vermisste. Im Kopf rattert’s: Zu welche der Thermen im Umland könnte man eine Radtour machen? Wo ließe sich das vielleicht mit einer Nacht im Zelt an irgendeinem See verbinden – schließlich ist nix schöner, als saunageplättet in einen Schlafsack zu kriechen? Komischerweise will niemand mit, meine Idee löst eher Schulterzucken aus.

Letztendlich lande ich bei der unkompliziertesten Variante: Allein fahre ich mit der S-Bahn nach Potsdam. Gleich gegenüber dem Hauptbahnhof ist unten ein Spaßbad mit Kindergeschrei, oben ein Saunagarten. In dem herrscht gähnende Leere. Es sind drei Saunen offen und genau zwei andere Gäste da. Für jede*n eine eigene Kammer. Der Saunameister sagt, es läge am Online-Buchungssystem mit Zeitfenstern; das schließe viele Stammgäste aus, die seien eher älter. Das ist nicht schön und sicher aktuell an vielen Orten ein Thema. Aber in diesem Moment, so ganz allein in einer Riesensauna, ist es super.

Dem Saunameister scheint langweilig zu sein. Er bietet an, einen Aufguss zu machen. Weil das offiziell nicht erlaubt ist, wegen der Aerosole und der Verwirbelungen, muss ich raus aus der Kammer, als er das Wasser aufgießt. Danach darf ich wieder rein. Ist natürlich nur der halbe Spaß, aber dafür höchst exklusiv.

Manchmal lohnt es aber auch, etwas zu vertrödeln. Natürlich sind die Onlinetickets längst weg, als ich merke, dass ich versäumt habe, für diesen heißen Tag unlängst ein Ticket fürs Prinzenbad zu holen. Doch Abkühlung muss sein, und so kommen wir immerhin mal wieder an den Teufelssee.

Es ist schön in der Abendsonne auf der Wiese. Geraschel im Gebüsch – und plötzlich steht zwei Meter hinter uns ein Wildschwein. Das Fahrrad, das da auf dem Boden liegt, hat offenbar was Leckeres in den Satteltaschen. Jemand versucht es mit einem klappernden Schlüsselbund zu vertreiben. Sein Rückzug ins Unterholz ist temporär, denn zwei Minuten später kommt es mit zwei Kumpeln zurück. Und stolziert zutraulich und ganz ungerührt zwischen all den kleinen Partyblasen umher, die sich am See zum Feierabend gebildet haben.

Stephanie Grimm