Seehofer und die taz: Einsam an der Spitze
Bundesinnenminister Seehofer fällt die Trennung von Amt und Person schwer. Für fällige gesellschaftliche Debatten bedeutet das nichts Gutes.
W as für eine Woche. In Stuttgart marodieren Jugendliche durch die Fußgängerzone und verletzen PolizistInnen. Beim Militärischen Abschirmdienst und dem Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr müssen sie mal nach den Rechten schauen. In Hamburg spricht ein Gericht einen Polizisten frei, der einen Geflüchteten erschossen hat. In Berlin soll der Verfassungsschutzbericht vorgestellt werden – die Zahl der erfassten RechtsextremistInnen in Deutschland ist von 24.100 auf beunruhigende 32.080 angestiegen.
Und der Innenminister? Ist sauer, sagt alle Termine ab und verschwindet für 48 Stunden von der Bildfläche. Der Grund ist ein Interview, das Horst Seehofer (CSU) der Bild-Zeitung gegeben hatte. Darin erklärte er, gleich am Montag Strafanzeige gegen die taz erstatten zu wollen. Deren Autor_in Hengameh Yaghoobifarah hatte in einer Kolumne über Möglichkeiten des Einsatzes von PolizistInnen abseits ihres Berufsstandes spekuliert und war dabei auf der „Mülldeponie“ gelandet.
Horst Seehofer (CSU), oberster Dienstherr der Polizei, war empört. Eine Anzeige, mag er sich gedacht haben, wäre ein starkes Zeichen der Solidarität mit seinen PolizistInnen. Aber eben auch ein medial gut verkäuflicher Profilierungs-Move für ihn selbst. Das war eine Fehleinschätzung, deren Tragweite zu erfassen Seehofer deutlich zu lange gebraucht hat. Und darin liegt das eigentlich Beunruhigende. Ein Innenminister muss tun, was ein Innenminister tun muss. Aber eben nicht, was ihm sein persönliches Gefühl sagt.
Andere SpitzenpolitikerInnen haben für solche Fälle versierte Fachleute und BeraterInnen. Seehofers störrischer Entscheidungsprozess hingegen wirkte verdammt einsam. Bei einem Regierungsmitglied, dessen Land jederzeit in eine Großlage geraten kann, könnte dies gefährlich werden. Es macht einen Unterschied, ob Privatpersonen und Vereinigungen ihrer Empörung per Strafanzeige Ausdruck verleihen oder ob das der Verfassungsminister tut.
Seehofer vermischt die Gewalten
Wenn also ein Mitglied der Exekutive mit Mitteln der Judikative versucht, Auseinandersetzungen in eigener Sache zu führen, verrutschen die Machtverhältnisse. Die Kanzlerin sieht das so, die Union sieht das so, erst recht die demokratische Opposition. Nur Horst Seehofer hat für diese Erkenntnis länger als alle anderen gebraucht.
Mag den Minister ein Text und dessen Haltung gegenüber Menschen noch so sehr berühren und aufbringen – mit seiner Drohung, die Staatsanwaltschaft in die Spur zu schicken, hat er den Gegenstand seiner Wut noch einmal deutlich aufgeblasen. Sein politisches Anliegen, nämlich auf die Verrohung des gesellschaftlichen Diskurses aufmerksam zu machen, rutschte damit in den Hintergrund.
Zu grell schillerte der Verdacht, der Bundesinnenminister wolle an der Presse- und Meinungsfreiheit rumschrauben. Am Donnerstag schließlich ließ Horst Seehofer eine Erklärung veröffentlichen. Er werde keine Anzeige gegen die taz erstatten, lade aber deren Chefredaktion zum Gespräch in sein Ministerium ein. Die wiederum würde reden – aber zu anderen Bedingungen. Der Streit zwischen dem Innenminister und der taz wird damit zum Gehakel; sein überaus ernster Inhalt verschwindet hinter Formfragen.
Seehofer bleibt im Gespräch – nicht aber der strukturelle Rassismus bei der Polizei. Was bleibt von der Woche? Vor allem Beunruhigung. Horst Seehofer führt ein Megaministerium mit 2.100 Bediensteten und einem 16-Milliarden-Euro-Etat. Er ist als Verfassungsminister zuständig für die innere Sicherheit des Landes, für Integrationspolitik und Katastrophenschutz. In einem Jahr wählen die BürgerInnen ein neues Parlament. Horst Seehofer wird versuchen, bis zum letzten Augenblick an Bord zu bleiben.
Er ist besessen davon, fünf Minuten nach Angela Merkel das politische Berlin zu verlassen. Ob sich sein Wunsch erfüllt, ist nach diesen Chaostagen fraglicher geworden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!