piwik no script img

Glücklich gestrandet

Die chinesische Schauspielerin Yang Te, für ein Engagement von Moskau nach Berlin gekommen, durfte wegen des Lockdowns nicht zurück. Hier erprobt sie neue Ideen

Ist happy in Berlin und singt jetzt auf Deutsch: Freigeist Yang Ge Foto: Anja Weber

Von Tom Mustroph

Yang Ge, Schauspielerin am Moskauer Gogol Center, wurde nach einem Gastspiel in Berlin Mitte März nicht wieder zurück nach Russland gelassen. Ihr chinesischer Pass war das Problem. Momentan steckt sie in Berlin fest. Und empfindet das als Glück, wie sich bei einem Treffen überraschend zeigt. Sie dreht Videoclips, zeigt Kunst auf Instagram, komponiert Lieder und macht Onlinetheater.

„Für mich ist Corona ein Segen. Deshalb bin ich hier gestrandet“, sagt die 31-Jährige. „Die Stadt ist toll, ich lerne viele interessante Leute kennen. Gleich nachher treffe ich mich mit zwei Musikern. Auch das Essen ist gut, Pizza in Berlin ist wirklich klasse, und dann die vielen asiatischen Restaurants. Nein, ich vermisse hier nichts. Außer vielleicht, dass in Deutschland am Sonntag alles geschlossen ist. In Moskau hat alles geöffnet, sieben Tage die Woche. Da bin ich gewohnt, durchzuarbeiten.“

Es ist ein Orkan an Worten, der aus Yang Ges Mund hervorsprudelt, von Gedanke zu Gedanke springend, ist sie kaum zu stoppen. Mochte man anfangs noch den Verdacht haben, der Redefluss sei der Einsamkeit im Lockdown geschuldet, so zerstreuen ihn die vielfältigen Aktivitäten der Künstlerin schnell. „Ich lerne jetzt Ukulele“, erzählt sie und stimmt sofort einen Song an: „Ich bin zu Hause, wo bist du?“, singt sie – auf Deutsch! „Ich versuche, die Sprache zu lernen. Aber die Aussprache ist so schwer. Und so viele Leute sind des Englischen mächtig. Da komme ich gar nicht zum Deutschlernen. Also habe ich mir gedacht, schreibe ich einfach Songs auf Deutsch“, sagt sie. So simpel kann man Probleme lösen, wenn der Geist nur frei ist.

Singen kann die an der Moskauer Filmhochschule, dem Gerassimow-Institut für Kinematografie, ausgebildete Schauspielerin prächtig. Davon konnte sich das russische TV-Publikum vor drei Jahren beim Finale von „Voice of Russia“ überzeugen. Da legte sie eine raubtierhafte Coverversion des Beatles-Songs „Come Together“ hin, die Publikum und Juroren elektrisierte. „Läuft hier noch ‚Voice of Germany‘? Ich hätte Lust, mich zu bewerben. Warum nicht“, sagt sie, als das Gespräch ihre Musikkarriere berührt.

Nach Berlin kam sie allerdings als Schauspielerin. Sie hatte ein Engagement am Deutschen Theater in „Decamerone“, einer Koproduktion mit dem Gogol Center. Es war ein Langzeitprojekt des Moskauer Starregisseurs Kirill Serebrennikow, in die Länge gezogen vor allem aufgrund des Hausarrests, der gegen Serebrennikow verhängt wurde.

Arbeiten auf Distanz

Wegen dessen Hausarrest lernte Yang Ge, die in „Decamerone“ mehrere Rollen in den Beziehungsgeschichten spielte, bereits vor Corona das Arbeiten auf Distanz. Serebrennikow gab aus dem Hausarrest Regieanweisungen. Die Proben wurden abgefilmt, der Starregisseur studierte das Material und gab neue Anweisungen. Hat sie deshalb Vorteile im Arbeiten unter Corona? „Ach nein, das lässt sich nicht vergleichen. Damals war ich Schauspielerin, da gehe ich auf die Bühne, spiele, und das war es. Jetzt bin ich Regisseurin. Da ist so viel zu organisieren. Es ist ganz anders“, erklärt Yang Ge.

Zurzeit dreht sie Werbe­clips, aber auch eigene künstlerische Kurzfilme. Gefunden hat sie eine russische Kamerafrau. Überhaupt ist sie eingetaucht in die russische Community in Berlin. „Es gibt so viele Russen hier, unglaublich“, staunt sie. Manche kennen sie bereits, vom Fernsehen her, vom Theater, und sprechen sie an.

„Pizza in Berlin ist klasse. Ich vermisse hier nichts“

Yang Ge, Schauspielerin

Einsamkeit im Lockdown? Nicht für Yang Ge.

Vor elf Jahren kam sie nach Moskau, sollte dort eigentlich Dolmetscherin werden. „Ich dachte aber, versuche ich doch was anderes. Ich ging zum Casting des Gerassimow-Instituts und wurde gleich angenommen. So änderte sich alles. Ich wurde Schauspielerin, die erste und bislang einzige chinesische Absolventin in mehr als 100 Jahren Geschichte des Instituts“, erzählt sie stolz. Das Institut wurde 1919 gegründet und gilt als älteste Filmschule weltweit. Ein wenig leidet Yang Ge natürlich auch unter dem Shutdown der Kulturbetriebe international. Gastspiele wurden abgesagt. In Berlin sollte sie mit dem Stück „Outside“ im März noch beim FIND-Festival an der Schaubühne auftreten, im Mai sollte sie auf Japan-Tournee gehen. Alles gecancelt. Für den Herbst sind Gastspiele in den USA geplant. „Niemand weiß momentan, ob es stattfinden kann“, sagt Yang Ge.

Und in Moskau sitzen Mutter und Tante fest. „Ich kann nicht zu ihnen nach Moskau und sie nicht nach China. Es ist verrückt“, stellt sie fest und zuckt dann mit den Schultern. „Es gibt eine chinesische Weisheit: Alles passiert aus einem Grund. Das sage ich mir jetzt. Corona hat mich schließlich nach Berlin gebracht“, bilanziert sie. Ihre Moskauer Freunde sind deshalb manchmal neidisch, gesteht sie. Dort herrschen auch viel härtere Regeln im Lockdown. „Nur zwei Mal in der Woche darf man ins Freie, und auch das nur mit Erlaubnis“, erzählt Yang Ge. Die Theater sind geschlossen. Das Gogol Center macht aber eine Online-Produktion. „Dafür drehen wir hier in Berlin und in Moskau“, berichtet sie.

Auch bei der Online-Version des Festivals „Radar Ost“, vom 19. bis 21. Juni live aus dem Deutschen Theater, macht sie mit, als Co-Gastgeberin gemeinsam mit Intendant Ulrich Khuon. Viel zu tun also. Nur eines hat sie bislang nicht geschafft. „In Berlin soll es ja viele Clubs geben. Ich habe noch keinen einzigen gesehen. Am Anfang habe ich nur gearbeitet für ‚Decamerone‘. Und dann kam Corona.“ Es bleibt also noch etwas zu erkunden für Yang Ge in Berlin.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen