berlin viral: Schwarze Wolken ziehen auf
Die Hütte im Wald haben wir schon im neunten Jahr, aber so viel Besuch war selten. Corona spült sie nun alle raus aus der Stadt und in unseren Garten hinein. Jetzt, da ihnen langweilig ist, besinnen sie sich auf ihre kleinen Gartenzwergfreunde. Die Clubs und Kinos haben zu, die Kneipen sind pleite, die Kinder quengeln in der engen Wohnung. Da denken sie wohl, sogar bei uns auf dem Land wäre mehr los. Immerhin kann man dort mit angemessenem Abstand an der frischen Luft sitzen. Selbst diejenigen, die neun Jahre lang das Blaue vom Himmel und ihr Kommen versprachen, sind auf einmal da.
Nur das Blaue vom Himmel haben sie nicht mitgebracht. Im Gegenteil, sie haben sich ein Wochenende mit starker Unwetterlage ausgesucht. Wir haben ihnen gesagt, dass das scheiße ist. Das ist wirklich richtig draußen, haben wir erklärt, mit Bäumen und Regen und nass und so. Prima, haben sie geantwortet, dann grillen wir, was sollen wir mitbringen – sie haben offenbar gar nicht hingehört.
Um 14 Uhr kommen die Gäste. Angeblich mussten sie noch ausschlafen. Schwarze Wolken ziehen auf. Es ist noch nicht mal 15 Uhr und bereits verdammt dunkel. „Dann dürfen wir ja schon Alkohol trinken?“, kommentiere ich erwartungsfroh die Lichtverhältnisse.
Ich weiß ja nie, wovor ich mehr Angst habe: vor Besuch oder vor der Apokalypse. Denn für mich ist jede soziale Interaktion über den Blick in den Spiegel hinaus eine grenzwertige Herausforderung. Doch wenn die Leute erst mal da sind, ist es eigentlich ganz schön, und wenn es mir zu viel wird, kann ich mich ja an den Grill zurückziehen oder Zeug für den Salat schneiden. Ich bin ein Soldat. Ich mache mich nützlich und muss nicht sprechen.
Meine Frau erledigt gekonnt die Konversation, ab und zu fliegen Gesprächsfetzen zu mir herüber: ein Lob meiner eselhaften Nützlichkeit oder ein liebevolles Spottwort. Ich lächle dann mein geheimnisvolles Mona-Lisa-Lächeln, weil ich die Hälfte nicht verstanden habe, aber mir auch keine Blöße geben will.
Mittlerweile gießt es in Strömen. Unter meinem Stoffsonnenschirm am Grill bete ich, dass er nicht – klatsch! – auf einmal unter den Wassermassen zusammensackt und ich dastehe wie ein besoffener Pudel.
Die anderen sitzen auf der Veranda im Trockenen und mixen sich Gin Tonics. Sie lassen sich die Laune nicht verhageln, während ich verzweifelt versuche, die Glut mit meinem erkaltenden Leib vor dem tosenden Sturm abzuschirmen. Das Grillgut will auch nicht so recht durch werden. Die nicht ganz pandemiekonforme Fingerprobe ergibt eine lauwarme Oberfläche. Lamm muss ja zum Glück nur rosa.
Wenigstens sind die Leute, die wir oder die sich selbst einladen, coronamäßig ähnlich drauf wie wir. Dann muss man nicht auch noch streiten, wo man doch schon mit den Naturgewalten kämpft. Das Virus scheint für viele ja jetzt einfach weg zu sein, oder es war nie richtig da. Nun müsse es doch langsam mal genug sein, sagen sie, als wäre das Ganze nur ein missglücktes Unterhaltungsexperiment der Regierung gewesen. Dass irgendetwas „langsam mal genug sein“ solle, kennt man schon aus den Diskussionen über #MeToo. Ohne ein gewisses Maß vertrauter Restscheiße macht das Leben keinen Spaß.
Apropos Spaß. Der Besuch nimmt später am Abend, als alle den Bauch mit rohem Fleisch und Gemüse gefüllt haben, unseren Teichfrosch auf und spielt ihm dann, typisch Städter, das Audio vor. Fühlt sich die Natur verarscht, schlägt sie mit Wucht zurück: Der vom Regen eh schon aufgedrehte Grüne rastet aus wie eine Katze, der man Baldrian gegeben hat. In der Nacht kann wegen des Lärmlurchs nun natürlich keiner schlafen. Danke, Drosten. Uli Hannemann
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