Umgang mit Kolonialismus: Falsche Helden
Kolumbus war kein guter Mann, sondern Initiator eines Völkermords. Wenn Denkmäler für ihn daran erinnern würden, wäre das ein Fortschritt.
Z um Beispiel Kolumbus: Was wäre denn schlimm an Widdewiddewitt-bum-bum? Ach, falsche Frage. Schlimm ist, dass der Text des Kolumbus-Lieds, den der Hamburger Musikpädagoge Fritz Jöde 1936 in seinem arischen Scherzliederbuch „Der Pott“ zusammen mit der Melodie eines älteren Studentenlieds veröffentlicht hat, noch immer das ist, was in Deutschland quasi jedes Kind über Kolumbus „weiß“ – „wissen“ hier mal in einem weiten Sinn.
Jöde war wohl kein Vollnazi, eher Mitläufer. Er war sogar 1935 nach einem Disziplinarverfahren aus dem Staatsdienst entlassen worden, allerdings, weil er Mädchen seines Chors sexuell belästigt hatte. Zwar war er bemüht, das als Akt des Widerstands oder Sonderform der inneren Emigration darzustellen, aber ganz ist dem nicht zu trauen, auch weil seine Dissidenz schnell beigelegt war.
Ab 1938 durfte er die Hitlerjugend Münchens klingen und spielen lehren. Nach dem Anschluss erhielt er einen Ruf ans Mozarteum. Als diese dunkle und entbehrungsreiche Zeit vorüber war, kehrte er in die Heimat zurück, leitete Hamburgs Amt für Schulmusik und bildete den pädagogischen Nachwuchs aus. Juchheissassa!
Aber nicht nur Hamburg ist immer schon schlecht darin gewesen, mit peinlicher Vergangenheit umzugehen. In Sachen früher Neuzeit gilt das für ganz Deutschland. Und wenn das naiv-komische Bild von Wilden, die erschreckt ausgerufen hätten, sie seien entdeckt, im Volksgemeinschaftslied erhalten bleibt, ist das vielleicht gar nicht so schlimm.Wenigstens gemessen an dem, was der deutsche Bildungsserver verzapft: Das ist ein von Bund und Ländern gemeinsam betriebenes Portal – hochoffiziell. Dort können sich Lehrer*innen mit Material für den Unterricht versorgen.
Kolumbus reiste nicht aus Neugier
Und wer das Dossier zu Kolumbus aufruft und dem, was außer dem Bildungsserver nur hartgesottene Neokolonialist*innen noch als „Entdeckung Amerikas“ bezeichnen, der stößt vor ins Reich der Märchen oder besser: der Legenden. Denn die ankern ja in der Wirklichkeit, nur löschen sie den Kontext, schönen die Motive, bereinigen die Taten und begradigen den Erzählfluss. So auch hier.
Denn ja, es stimmt, dass Cristobal Colón im Auftrag der kastilischen Krone aufgebrochen war, um via Atlantik nach Indien zu gelangen und am 12. Oktober 1492 auf den Bahamas landete. Was er dort soll: Darauf fehlt in der Darstellung jeder Hinweis.
Das Ziel der Reise ist, nach Kolumbus’ eigenen Worten zu urteilen, geopolitisch: Es geht um eine Fortsetzung des im Januar nach 770 Jahren durch die Eroberung Granadas beendeten Projekts der Reconquista, also des kastilischen Kriegs gegen die islamische Welt. Die hält die Handelsrouten des Mittelmeers besetzt und hat mit Konstantinopel das Zentrum der damaligen Welt eingenommen.
Um die Bekehrung der Fürsten, Völker und Länder der Gegenden „zu unserem Heiligen Glauben zu vollziehen“, hätten ihn die katholischen Majestäten nun dorthin gesandt, so Kolumbus, „als Katholiken [...] und als Feinde der Sekte Mohammeds“.
Will man die technologisch überlegenen Muslime umzingeln? So sieht es aus. Mindestens erfolgt schon die erste Reise nicht einfach aus einer gelangweilten Neugier heraus. Sie ist von handfesten Interessen geleitet und gewaltorientiert.
Militärisch ist denn auch das Vokabular, mit dem er sie, zwei Tage nach der Landung, beschreibt: Es sei gelungen, die hübsch-harmlosen, gut gebauten Einheimischen mit nur 50 Mann zu „unterwerfen und dazu zu zwingen, zu tun, was immer wir wünschten“.
Gloria Viktoria
Das Ganze bezeichnet er als „la grand vitoria que Nuestro Señor me ha dado en mi viaje“: „den großen Sieg, den Unser Herr mir auf meiner Reise gegeben hat.“ Gloria Victoria: Der Nazi-Blödelsong ist näher an der historischen Überlieferung als der offiziöse Bildungsserver, dessen Dossier auch das Wort Genozid vermeidet.
Der Ausdruck wäre geschäftsschädigend, wenn man bedenkt, dass Bremerhaven sich ein Columbus-Center als Einkaufstempel gönnt. Sollte man es vielleicht Völkermord-Mall nennen? Aber andererseits: Welcher Ausdruck wäre angemessener? Auf 18 Millionen wird, rückblickend, die präkulumbianische Gesamtbevölkerung Nord-Amerikas um 1492 geschätzt. 400 Jahre später, in der Zeit von Wounded Knee, sind noch 200.000 übrig. Im Süden wird die Zahl im gleichen Zeitraum von mindestens 40 auf zwei Millionen sinken.
Auf Hispaniola, dem Hauptquartier des Kolumbus, geht es schneller: Von gut einer Million – manche Schätzungen liegen deutlich höher – auf gerade noch 100.000 Überlebende binnen zwölf, auf 200 im Laufe von nur 50 Jahren – das ist die Bilanz. Sie zu verschweigen, ist lügen: „Auf seinen weiteren drei Reisen erkundete Christoph Kolumbus Mittelamerika und den nördlichen Rand Südamerikas“, klittert der Bildungsserver dagegen fröhlich vor sich hin.
Nicht erwähnt er die Verbrennung von Indios, die Nuestro Señor frech gekommen waren. Sind Menschenleben unwichtig? Ja, lautet die implizite Antwort des deutschen Bildungsservers. Nicht erwähnt er, dass Kolumbus beginnt, das Land zu plündern, dass die von ihm doch als friedlich erfahrene Bevölkerung vergewaltigt, abgeschlachtet und durch Arbeit vernichtet wird.
Vor der zweiten Reise verspricht Kolumbus den katholischen Majestäten, ihnen Gold, Gewürze und „esclauos quantos mandaranas“ mitzubringen, so viel Sklaven, wie sie nur befehlen. Von den 1.600, der ersten Ladung, sterben mehr als zwei Drittel auf der Überfahrt. Widdewiddewitt.
Kolumbus ist ein Modell: Mit ihm beginnt die Moderne als ein Mythos „von ganz besonderer Gewalt“, schreibt der argentinische Philosoph Enrique Dussel in seinem Buch über „die Erfindung Amerikas“: Ihr emanzipatorischer rationaler Gehalt wird begleitet von einem Prozess der symbolischen und physischen Vernichtung des Nicht-Europäischen. So etabliert sich Europa als Zentrum der Welt und universeller Maßstab. Aus dieser Position heraus ist Kolonialismus möglich.
Dieses Löschprogramm, von Kolumbus gestartet, setzen die anderen „großen Entdecker“ fort: Sklavenhändler Vasco da Gama, Vergewaltiger Magellan und Menschenschlächter Vasco Balboa, blutig, sadistisch, erbarmungslos. Wir müssen nicht ihre Denkmale stürzen. Es geht darum, ihren Schrecken zu zeigen, die Blutspur sichtbar zu machen, sie zur Kenntlichkeit zu entstellen. Lasst sie nicht verschwinden. Zeigt sie mit ihren Taten.
Nur wenn es gelingt, den Blick umzukehren und statt sie zu bewundern, mit dem Entsetzen ihrer Opfer auf sie zu schauen, wird Kolonialismus überwunden.
Sie zu ehren, heißt hingegen Völkermorde feiern. Hamburg zeigt, wie’s geht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ost-Preise nur für Wessis
Nur zu Besuch
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Etgar Keret über Boykotte und Literatur
„Wir erleben gerade Dummheit, durch die Bank“
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Verzicht auf Pädagogen in Bremer Kitas
Der Gärtner und die Yogalehrerin sollen einspringen
Grüne Parteitagsbeschlüsse
Gerade noch mal abgeräumt