die gesellschaftskritik
: Frauen und Kinder zuletzt

Russland entdeckte die gleichberechtigte Elternschaft – bis Corona kam

Als ihr älterer Sohn die Totalverweigerung an den Tag legte, rief Jekaterina Skrobot seine Lehrerin an. Die Schulaufgaben, das sollte diese dem Elfjährigen erklären, mache er nicht für seine Mutter. Der Viertklässler aus der Nähe von Moskau hatte keinen Bock mehr. Corona eben. „Der ganz normale Homeoffice-Homeschooling-Wahnsinn wie auf der ganzen Welt“, sagt Jekaterina Skrobot am Telefon. Anders ist lediglich der Umgang mit diesem „Wahnsinn“.

Während in Deutschland über die Belastung für Familien in der Coronapandemie öffentlich diskutiert wird, ist das Thema in Russland politisch inexistent. „Es ist, als machten wir das alles mit links, den Haushalt, die Jobs, die Beschulung und die Betreuung der Kinder“, sagt Skrobot. Bereits ohne eine Pandemie finden Frauen und Männer, die sich in Russland für eine gleichberechtigte Elternschaft einsetzen, gesellschaftspolitisch kaum Gehör. „Jetzt werden wir noch weiter zurückfallen“, sagt die 39-Jährige.

Kinder sind in Russland überall willkommen. Von Kindern wird aber auch viel verlangt. „Das Kind muss entwickelt werden“, heißt es in den Vorschulinstitutionen und Nachmittags­clubs. Für diese „Entwicklung“ sind traditionell Frauen zuständig. Frauen, die es vor allem in den Großstädten immer weniger hinnehmen, die alleinige Betreuerin der Kinder zu sein. Langsam setzt sich das Bewusstsein durch, auch der Vater spiele für das Leben eines Kindes eine große Rolle. Krankenhäuser bieten spezielle Vaterkurse an, die schnell ausgebucht sind. „Sprüche wie,Entschuldige, du bist jetzt Mutter, wir stellen dich nicht mehr ein‘ gehören mehr und mehr der Vergangenheit an, ein Glück“, sagt Jekaterina Skrobot. Das ist auch das Verdienst von Organisationen wie SelfMama, die seit 2014 Frauen und Männer dabei unterstützt, Elternschaft und Beruf miteinander zu vereinbaren, und für die Skrobot seit der Geburt ihres zweiten Sohnes arbeitet.

„Wir sind durch und durch eine patriarchale Gesellschaft. Zudem haben wir uns daran gewöhnt, uns selbst zu helfen. Vom Staat hat man nicht viel zu erwarten.“ Der Staat zahlt nun jeder Familie mit Kindern unter 16 umgerechnet 130 Euro als einmaligen „Pandemie“-Zuschuss. Für viele Familien ist das genug der Sorge. „Wir nehmen die Art der Nicht-Debatten als normal hin. So haben wir schließlich jahrhundertelang gelebt, ist oft die Erklärung“, sagt Skrobot. Diese aber reiche nicht mehr aus. Inna Hartwich, Moskau