apokalypse der woche
: Verdreckspiel mit der Hitze

Bisher schien klar: So schlimm die Coronapandemie auch ist, zumindest hilft sie gegen die Erderhitzung: Im April sank der weltweite CO2-Ausstoß um 17 Prozent, übers ganze Jahr rechnen Experten damit, dass wir vielleicht 4 bis 5 Prozent weniger Treibhausgase auf die Atmosphäre loslassen, je nachdem wie lange und wie kräftig die Wirtschaftskrise die Ökonomie bremst. Jetzt könnte sich diese Hoffnung als trügerisch erweisen. Denn durch die Krise wird weniger Gas, Öl und Kohle verbrannt. Das heißt, es entstehen nicht nur weniger CO2-Moleküle, sondern auch weniger Sulfat-Aerosole, kleinste Schwefelteilchen. Dieser Schwefel in der Luft gefährdet die Gesundheit und führt zu saurem Regen, der Böden und Bäume schädigt. Wird die Schwefelfracht verringert, hat das daher einen positiven Effekt: Die Luft wird sauberer. Das Problem: Gleichzeitig gehen damit Feinstpartikel verloren, die in der Atmosphäre Sonnenlicht ins All zurückwerfen und an denen sich Wolken bilden können. Das wiederum bedeutet: weniger Wolken, blauer Himmel, höhere Temperaturen. Je sauberer die Luft, desto wärmer die Atmosphäre.

In der Arktis ist genau das zu sehen: Dort hat bei strahlend blauem Himmel das Tauwetter früher eingesetzt als sonst. Die Temperaturen im Mai waren so hoch wie noch nie zu dieser Zeit seit Beginn der Messungen 1958. Eine Hitzewelle breitete sich in Sibirien bis nach Grönland aus. Frühe Waldbrände waren die Folge, Wissenschaftler fürchten nach einem Bericht der Webseite Mongabay, dass der Permafrostboden früher und großflächiger taut als gedacht. Noch prüfen ForscherInnen weltweit, ob die indirekten Folgen des Coronavirus tatsächlich den Nordpol aufheizen. Gänzlich überraschend wäre das nicht. Denn dass der Dreck aus der Verbrennung von Fossilen auch dabei hilft, die Erwärmung aus der Verbrennung zu „maskieren“, haben WissenschaftlerInnen schon belegt. Sie vermuten auch, dass Temperatursprünge in der Atmosphäre über die letzten Jahrzehnte immer wieder auftraten, wenn die Politik die Kraftwerke und Schornsteine sauberer machte.

In den Berichten des Weltklimarats IPCC zeigen Tabellen neben dem Erwärmungpotenzial von Treibhausgasen wie Kohlendioxid, Lachgas oder Methan deshalb auch immer die kühlende Wirkung der Sulfat-Aerosole. Der US-Klimaforscher Michael Mann nennt das den „faustischen Pakt“, wenn weniger Sulfate, eine gesündere Luft zum Atmen und weniger saurer Regen „das enthüllen, was seit Jahrzehnten durch die Verschmutzung verdeckt wurde“. Dieses Verdreckspiel hat großen Einfluss auf die globalen Temperaturen, kalkulieren Experten. So könnten die Sulfat-Aerosole bis zu ein Drittel der gesamten Erwärmung „maskieren“. Bernhard Pötter