Corona in Südafrika: Virenangst in den Townships
Für den Winter wird in Südafrika eine Explosion der Corona-Fälle befürchtet. Die Lebensverhältnisse ermöglichen keinen Schutz.
„Die Epidemie wird zunächst deutlich schlimmer werden, bevor es besser wird“, warnt Präsident Cyril Ramaphosa. Der erste Covid-19-Fall wurde in Südafrika am 5. März registriert. Noch Ende März lag die Zahl der positiv Getesteten bei nur 1.500. Heute gibt es knapp 24.300 Covid-19-Fälle in Südafrika mit 524 Toten, die Zahlen steigen schnell.
Von Anfang an war klar, dass schlichte Hygieneregeln in Townships und armen ländlichen Gegenden kaum greifen würden, wo Menschen oft auf engstem Raum zusammenleben und sich viele Familien einen Wasserhahn und eine Toilette teilen müssen. Hinzu kommt die extreme Armut bei noch immer mehr als der Hälfte der 58 Millionen Einwohner. Aus der Covid-19-Gefahr wird existenzielle Not, wenn wegen Ausgangssperren nicht mal mehr Tagesjobs nachgegangen werden kann und die oder der einzige Verdienende in einer vielköpfigen Familie die Arbeit verliert.
Doch gab es seltene Einigkeit bei Arm und Reich und allen Hautfarben, den Vorgaben von Präsident Ramaphosa und Gesundheitsminister Zweli Mkhize zu folgen: NGOs und Kirchen mit Nahrungspaketen und Zehntausende Freiwillige in Nachbarschaftshilfen. Kein anderes afrikanisches Land hat bisher 12 Millionen Screenings und 600.000 überwiegend kostenlose Tests vor allem dort durchführen können, wo die „Hotspots“ von Infektionen auftauchten.
Alle Betten belegt
Mehr als die Hälfte aller Infektionen wurde in der Provinz Westkap mit der Metropole Kapstadt nachgewiesen. Der Direktor des dortigen Gesundheitsministeriums, Keith Cloete, erklärt: „Bis Anfang August werden wir allein hier rund 80.000 Patienten haben, die Krankenhausbehandlung benötigen.“
Letzte Woche informierte das größte Krankenhaus Kapstadts, das Tygerberg Hospital, dass alle Betten auf der Intensivstation belegt seien. Das weltberühmte Grote Schuur Krankenhaus musste mehrere Abteilungen wegen eines Mangels an Ärzten und Schwestern schließen, die selbst erkrankt sind.
Der Fokus auf Covid-19 hat eine weitere tragische Folge: Experten warnen, dass, wenn andere Krankheiten weiter vernachlässigt werden, es zu zusätzlichen Zehntausenden Toten kommen wird. Selbst Schutzimpfungen von Kindern wurden vielerorts verschoben.
Die Lockdown-Maßnahmen werden derweil allmählich gelockert. Mit der Rückstufung vom höchsten Level 5 auf 4 am 29. April bereits durften einige Firmen mit einem Drittel der Belegschaft wieder die Arbeit aufnehmen, die weitgehende Ausgangssperre aber blieb. Ab dem 1. Juni soll nun Level 3 gelten, das eine neue Bewegungsfreiheit erlaubt, Millionen Beschäftigen die Rückkehr ermöglicht und auch Schulen und Universitäten wieder beginnen lässt.
Erziehungsministerin Angie Motshekga hat Pläne vorgelegt, wie alle Schulen schrittweise ab 1. Juni wieder öffnen sollen. Doch die großen Lehrergewerkschaften haben erklärt, dass sie ihre Mitglieder zum Boykott aufrufen werden, da überfüllte Schulen ohne ausreichende Toiletten ein zu hohes Risiko darstellen würden. Unabhängig davon haben Lehrer*innen an mehreren Schulen begonnen, an einigen Wochentagen die Schulspeisungen weiter stattfinden zu lassen. Für viele Kinder sind das die einzigen warmen Mahlzeiten überhaupt.
Quarantänezentren für die Armen
Um sich für den gefürchteten „großen Sturm“ zu wappnen, werden drei Ansätze verfolgt. Erstens: Die Zahl der Krankenhausbetten wird radikal erhöht – das Internationale Konferenzzentrum in Kapstadt soll mehr als 850 Betten beherbergen, Feldlazarette für Tausende werden errichtet.
Zweitens: Tests machen nur Sinn, wenn die positiv Getesteten isoliert werden können, was in 90 Prozent der Townships unmöglich ist – nur die Wohlhabenden können sich daheim isolieren. So sollen Quarantänezentren geschaffen werden, in denen Menschen so lange bleiben, bis sie nicht mehr ansteckend sind. Allein im Westkap soll es um bis zu 53.000 Menschen gehen. Aber was, wenn sich Menschen weigern, dieser Aufforderung zu folgen?
Drittens gibt es den Plan, Townships, die als besonders „überfüllt“ und damit als „Coronabrutstätten“ gelten, durch die Umsiedlung einiger Tausend Menschen zu „entsiedeln“. Auch dies als Angebot und nicht als „Zwangsumsiedlung“ mit der bitteren Erinnerung an die Apartheid. In Khayelitsha, mit über 1 Million Bewohner*innen das größte Township bei Kapstadt, gibt es bereits mehr als 2.000 Infektionen. Hier werden derzeit etwa 3.000 angebotene Umsiedlungen verhandelt.
Auch Masiphumelele im Süden Kapstadts mit nur 40.000 Bewohner*innen gilt als „zu voll“. Im Zentrum des Townships liegt unser Kinderhaus*, in dem seit zwanzig Jahren Kinder und Jugendliche ein Zuhause finden, die sonst keine erwachsenen Familienmitglieder mehr haben. Als wir damals begannen, war Aids die häufigste Todesursache. Heute sind dort 144 unserer Nachbarn positiv auf Covid-19 getestet. Doch im örtlichen Kreiskrankenhaus gibt es nur 67 Betten, davon zwei Betten als Intensivstation.
Eine Krankenschwester kommentiert: „Wenn nur jeder dieser 144 mit fünf bis zehn anderen in seiner Hütte in engem Kontakt ist, ist der weitere Ausbruch der Infektion schon nicht mehr zu kontrollieren.“
*Der Autor lebt in Kapstadt als Mitbegründer der Stiftung HOKISA, die sich für von AIDS betroffene Kinder und Jugendliche im Township Masiphumelele einsetzt.
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