: Explosion am frühen Morgen
Im südniedersächsischen Einbeck explodiert der Briefkasten einer bekannten Antifaschistin. Rasch ermittelt die Polizei zwei Tatverdächtige aus dem zunehmend militanten rechtsextremen Milieu
Von Andreas Speit
Zwei Verkehrsunfälle, je eine Tierrettung und berauschte Autofahrt, gestohlene Absperrbänder und einen tätlichen Angriff auf Polizeibeamte: Diese Vorfälle am vergangenen Mittwoch, 10. Juni, hat die Polizeiinspektion im niedersächsischen Northeim per Pressemitteilung mitgeteilt, dazu sogar noch ein paar mehr. Nicht aber den Sprengstoffanschlag auf eine antifaschistisch engagierte Einbeckerin in den frühen Morgenstunden desselben Tages – ebenso wenig, dass ein Verdächtiger bereits ermittelt ist oder dass die Staatsanwaltschaft von einem rechtsextremistischen Hintergrund ausgeht.
Mehr als bloß ein Versäumnis, findet Rasmus Kahlen: Der Vorfall offenbare „eine neue Dimension der Gewalt von Neonazis“, sagt der Göttinger Rechtsanwalt, der die Betroffene rechtlich vertritt. Er war es auch, der den Anschlag publik gemacht hat. „Es kann doch nicht sein, dass die Polizei einen Sprengstoffanschlag nicht öffentlich macht“, sagt der Jurist der taz.
Im Halbschlaf
Um 3.50 Uhr in der Frühe war im Briefkasten der Frau, angebracht innen an der Eingangstür, Sprengstoff zur Detonation gebracht worden. Die Sprengwirkung war so stark, dass Teile des Briefkastens mehrere Meter weit in den Wohnbereich geschleudert wurden. „Nicht auszudenken, was hätte passieren können, wenn sich ein Mensch hinter der Tür befunden hätte“, sagt Rechtsanwalt Kahlen. Seine Mandantin habe die laute Detonation zwar wahrgenommen, aber im Halbschlaf nicht recht zugeordnet. Den Schaden bemerkte sie demnach erst, als die Polizei klingelte. Von den Beamten habe sie dann auch erfahren, dass ein Tatverdächtiger ermittelt sei. Dass dieser „aus der rechtsextremen Szene kommt, teilten sie nicht mit“, so Kahlen. Seine Mandantin habe es sich aber schon gedacht – gezielt bedroht wird die Frau demnach schon länger aus der örtlichen Szene.
Zum raschen Erfolg der polizeilichen Ermittlungen führte, dass der Verdächtige sich bei dem Anschlag offenbar selbst verletzte: Eine Blutspur, stammend von einem 26-Jährigen, führte vom Anschlagsort zur nahe gelegenen Wohnung des Mannes. Das legt nahe, dass der Sprengsatz zu früh zündete. Die Polizei brachte den schwer verletzen Mann ins Krankenhaus. Er sei „definitiv tatverdächtig“, erklärte später am Tage die Staatsanwaltschaft Göttingen – und einschlägig „polizeibekannt“: Eine Anklage wegen Volksverhetzung laufe.
Zusammen mit zwei Kameraden soll der Mann im November 2019 bei einer Führung durch die KZ- Gedenkstätte Moringen gegenüber Mitarbeitenden die KZ-Haft verharmlost haben. Ein Foto, das sie in T-Shirts mit einem durchgestrichenen Davidstern, dem Schriftzug „Fuck you Israel“ und einer Hakenkreuz-Anspielung vor den Toren des ehemaligen Konzentrationslagers zeigt, veröffentlichten die Männer auf den Facebook-Seiten der rechtsextremen Gruppe „Nationaler Aufbruch Einbeck“. Ein Mitbewohner des 26-Jährigen befindet sich mittlerweile ebenfalls in Haft, in der gemeinsamen Wohnung stellten die Ermittler diverse Beweismittel sicher, darunter Waffen. Einen der beiden Tatverdächtigen hat die Polizei schon länger als „Gefährder Rechts“ bewertet.
Kein Einzelfall
Kahlen zufolge reiht sich der – teils missglückte – Sprengstoffanschlag ein in eine anhaltende Serie von Aktionen, gerichtet gegen Antifaschist*innen im südlichen Südniedersachsen. Das Antifaschistische Bildungszentrum und Archiv Göttingen (ABAG) zählte im vergangenen Jahr 404 Vorfälle in der Region einschließlich des thüringischen Eichsfelds – rechnerisch also mehr als einer pro Tag. Schwerpunkte der rechtsextremen Aktivitäten waren Einbeck und Göttingen. In der ABAG-Chronik für das laufende Jahr finden sich bis zum 11. Juni schon wiederum mehr als 40 Einträge zu Einbeck, von Schmierereien über Bedrohungen bis hin zu Angriffen. „Insbesondere in Einbeck ist eine konstant hohe Bedrohungslage für politisch Andersdenkende zu verzeichnen“, erklärte das ABAG im April.
Im Januar hatte sich die rechtsextreme „Kameradschaft Einbeck“ aufgelöst. Im Februar gründete die Partei „Die Rechte“ einen Kreisverband Einbeck-Northeim; in der „Rechten“ sammeln sich bundesweit militante Anhänger, die aus den Kameradschaftsnetzwerken kommen. Anfang April stellte die Polizei in zwei Wohnungen von Rechtsextremen in Einbeck bereits Schutzwaffen sicher.
„Nach den vorliegenden Informationen wollten diese beiden Rechtsextremisten eine in der Region für ihr Engagement gegen rechts bekannte Frau damit einschüchtern und bedrohen“ sagte am Donnerstag Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) – und dass die Täter „offensichtlich Angst und Schrecken verbreiten“ wollten. Die Polizei werde die Umstände dieser Tat sehr genau untersuchen. Auch der Göttinger Grünen-Bundestagsabgeordnete Jürgen Trittin sprach von einem „perfiden Versuch, eine Antifaschistin zu verletzen“, der sich einreihe „in eine Serie rechtsextremer Aktivitäten“.
Anwalt Kahlen zufolge lässt sich seine Mandantin aber nicht einschüchtern: Sie habe vielmehr schon große Solidarität erfahren.
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