piwik no script img

Der Do-it-yourself-Pionier

Lange interessierte sich keiner für den Auricher Bauhaus-Studenten, Industriedesigner und Pädagogen Hin Bredendieck. Nun nimmt ein Buch sein Leben in den Blick

Hin Bredendieck (hier 1980) galt als streng, humorlos und wortkarg. Studierende erinnern sich an nur wenige, verwirrende Vorlesungen Foto: Ed. C. Thompson, Landesmuseum Oldenburg

Von Bettina Maria Brosowsky

Rein quantitativ fiel das 100-jährige Bauhausjubiläum 2019 ja stattlich aus: Zwei neue Museen in Weimar und Dessau, viele Ausstellungen und gefühlt diverse Meter weitere Literatur. Dabei blieb auch der Nordwesten Deutschlands nicht untätig. Bremen etwa würdigte seinen legendären Sohn Wilhelm Wagenfeld (1900–1990), der 1924 in der Metallwerkstatt des Weimarer Bauhauses die heute wieder produzierte Design-Ikone der Bauhaus-Leuchte mit der markanten Milchglaskuppel entwickelte.

Ein Unbekannter hingegen war über Jahrzehnte der aus Aurich stammende Hin Bredendieck (1904­–1995), der 1927 ans Bauhaus kam und dort ab 1928 im Produktionsbereich der Metallwerkstatt einfache Typenmöbel mitverantwortete sowie zahllose Leuchten für einen Leipziger Hersteller. Obwohl diese Erzeugnisse in den drei Sammlungs- und Forschungsstätten Weimar, Dessau und dem Bauhaus-Archiv in Berlin die erfolgreiche Entwicklungsarbeit der Hochschule für die Industrie belegen sollen, war die Person Bredendieck offensichtlich nirgends eines vertieften Interesses wert.

Dieser Situation begegnete ab 2016 ein Forschungsprojekt am Landesmuseum Oldenburg. Das Haus berief sich auf die Tradition seines Gründungsdirektors Walter Müller-Wulckow (1886-1964), der ab 1921 als einer der ersten Museumsleiter Deutschlands das Bauhaus durch Ankäufe und Ausstellungen förderte. Im Jubiläumsjahr präsentierten eine umfassende Überblicksschau und eine begleitende Publikation Hin Bredendieck sowie weitere Bauhäusler aus dem Oldenburgischen.

Von Aurich in die Welt

Bredendieck gehörte zur Schar der Emigranten, die nach 1933 Ideen und Pädagogik des Bauhauses weltweit und wirkmächtig aufschloss

Jetzt liegt die allererste Monografie zu ihm vor. Nicht zuletzt dank eines 2018 akquirierten, bis dahin unbekannten Teilnachlasses kann sie erstmals auch Bredendiecks Lehrtätigkeiten darstellen. Denn er gehörte, auch das lange Zeit nicht gebührend gewürdigt, zur Schar der Emigranten, die nach 1933 Ideen und Pädagogik des Bauhauses weltweit und wirkmächtig aufschloss. Ihm gelang es, in den USA das Berufsfeld des Industrial Designers zu definieren und eine systematische Lehre zu entwickeln.

Dieser internationale Erfolg war Bredendieck keinesfalls in die Wiege gelegt. Als einziges von acht Kindern einer ostfriesischen Kaufmannsfamilie konnte er, nach Volksschule und Tischlerlehre, 1923 zum Studium an eine Kunstgewerbeschule gehen. Dort herrschten noch konservativ bürgerliche Ideenwelten. Ob in Stuttgart, im progressiveren Hamburg – hier wäre 1919 beinahe Bauhaus-Gründer Walter Gropius verpflichtet worden – oder in Berlin: überall empfand sich Bredendieck als fremd. Wie er rückblickend meinte, fehlten ihm der soziale Status und der Bildungshorizont eines Gymnasiasten.

Erst in der „andersartigen Atmosphäre“ des 1925 nach Dessau umgezogenen Bauhauses fand er sein geistiges Zuhause. Er absolvierte zusammen mit Gustav Hassenpflug (1907–1977) und dem Schweizer Max Bill (1908–1994) den obligatorischen, einsemestrigen Vorkurs – beide werden in den Nachkriegsjahren in Hamburg und Ulm mit Lehrmodellen in dieser Bauhaus-Tradition miteinander konkurrieren. Der Vorkurs diente dem Freisetzen kreativer Ideen in experimenteller Kombinatorik auch disparater Materialien, anschließende Studien in einer Werkstatt vertieften die Erfahrung eines Werkstoffes und seiner Anwendungsmöglichkeiten.

„Holz kennen Sie schon, warum nicht in die Metallwerkstatt?“, ermunterte Bredendieck der studierte Jurist László Moholy-Nagy (1895–1946), der schon in Weimar diese Werkstatt geleitet hatte – mit einer „glücklichen Naivität“, so Wagenfeld einmal im Rückblick. Ein Aufgabenbereich war die Entwicklung elektrischer Leuchten für öffentliche und private Räume, als architekturbezogene Beleuchtungstechnik eine noch junge Disziplin. Darüber hinaus belegte Bredendieck bei Moholy-Nagy „Material und Raum“, ein Studium auch taktiler Art: Metalle, Leder, Porzellan oder auch Brotreste waren mit verbundenen Augen durch Abtasten zu bestimmen.

Für Bredendieck musste der Designer Künstler und Handwerker sein: Eine Collage aus Zeitungspapierstreifen von 1927/28 (oben) und eine Anleitung für einen an der Wand befestigten Schreibtisch zum Selbstbauen von 1956 Foto: Fotos (2): Landesmuseum Oldenburg

Bredendieck engagierte sich in der Studierendenvertretung, kritisierte erstmals die Materialbindung im Werkstattsystem, die sich noch zu sehr an den überkommenen Kunstgewerbeschulen orientiere, denn „der designer muss craftsman und artist sein“, wie er um 1938, nun schon aus den USA, rekapitulierte.

Konflikt um Methoden

Nach dem Diplom 1930, Etappen im Berliner Büro von Moholy-Nagy, zwei Jahren in der Schweiz und längerer Zusammenarbeit in Oldenburg mit dem Bauhäusler Hermann Gautel (1905–1945) hatte ihn 1937 der Weg an das New Bauhaus in Chicago geführt – und so wieder zu Moholy-Nagy. An dieser von Anbeginn kriselnden Institution brach der Konflikt um die richtige Lehrmethodik nun heftig aus. Bredendieck bezichtigte seinen vormaligen Mentor zudem persönlicher Vorteilsnahme, gar des Ideenraubs. Gropius, seit 1937 Professor in Harvard, mischte sich ein, sah in Bredendiecks Verhalten einen „Verrat, nicht nur an ihren Freunden, sondern auch an der Sache“.

Bredendieck arbeitete anschließend freiberuflich – er entwarf ab 1938 Möbel, auch zum Selbstbau, sowie, mittlerweile Familienvater, pädagogisches Spielzeug –, aber auch weiterhin als Dozent, sogar nochmals unter Moholy-Nagy. Aber erst mit seiner Berufung 1952 an das Georgia Institute for Technology konnte er während seiner 19-jährigen Leitung eine materialübergreifende, vierjährige Designlehre etablieren.

Er pochte auf die gesellschaftliche Verantwortung des Designers über die funktionale Bewältigung schierer Gebrauchs­erfordernisse hinaus. In den amerikanischen Studierenden ohne jegliche Vorkenntnisse und dem völlig kommerzialisierten Land sah er Probleme für eine systematische Erziehung, selbst 1965 empfand er das Industriedesign noch nicht auf dem Niveau einer Profession, der ein berufsrechtlicher Status gebühre.

Ehemalige Studierende beschreiben Bredendieck als streng, humorlos und wortkarg, seine wenigen, verwirrenden Vorlesungen kamen ihnen vor wie die eines Zen-Meisters, ausschließlich zum eigenen Denken auffordernd. Stets war „das Produkt kein Stuhl, keine Lampe oder Typografie. Das Produkt war der Student, ein Mensch, der (…) mit der Verbesserung der Welt verbunden war“, so Nathan Lerner, nach Studien bei Bredendieck lange auch dessen freiberuflicher Partner. Im Ruhestand arbeitete Bredendieck an seinem designtheoretischen Vermächtnis, publizierte in West- wie Ostdeutschland, sein Opus Magnum „The Book“ jedoch blieb trotz jahrzehntelangem Ringen unvollendet.

Hin Bredendieck. Von Aurich nach Atlanta, Hirmer Verlag, 280 S., 298 Abbildungen in Farbe, 49,90 Euro

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen