CDU lernt Radfahren

Auf ihrem ersten Online-Parteitag widmet sich die CDU der Mobilität

Von Stefan Alberti

„Ich kann die CDU Berlin nur ermuntern“, sagt der zugeschaltete Gast, „macht eine progressive Fahrradpolitik.“ Wer sich am Samstagvormittag auf www.cdu.berlin geklickt hatte, konnte zunächst vielleicht meinen: Das ist bestimmt der für den Online-Parteitag angekündigte Vertreter der Fahrradlobby ADFC. Aber nein, dieser Mann da in dem Bildschirmfenster oben links ist der CDU-Verkehrsminister von Nordrhein-Westfalen. Der ADFC-Chef ist zwar auch da, muss aber an diesem Vormittag oft nur nicken und später die Christdemokraten bestärken: „Gute Fahrradpolitik ist ein zutiefst bürgerliches Thema.“

Rund 400 CDUler haben sich eingeloggt bei dieser ersten digitalen Mitgliederkonferenz, aber auch Nichtmitglieder können die Veranstaltung via Live-Stream verfolgen, bei der es um eine neue Mobilitätspolitik gehen soll.

Und an diesem Vormittag sieht es so aus, als ob die Parteiführung um den seit gut einem Jahr amtierenden Landesvorsitzenden Kai Wegner es tatsächlich ernst meint mit einem Umdenken. Vom Parteiboss sind Sätze zu hören wie: Ja, es gebe die Kampfradfahrer, „aber es gibt auch Kampfautofahrer, und das finde ich auch nicht gut“.

Die Partei sieht sich selbst auf dem Weg der Mitte: Weder die auto- noch die fahrradgerechte Stadt soll das Ziel sein, sondern die menschengerechte Stadt. „Die Mobilitätsbedürfnisse haben sich verändert“, sagt Wegner. „Die Antworten, die wir vor 10 oder 20 Jahren gegeben haben, sind nicht mehr die richtigen Antworten, die wir heute geben sollten. Wir müssen uns hier weiterentwickeln.“

400 Teilnehmer an dieser ersten digitalen Mitgliederkonferenz wirken zwar erst mal nicht viel angesichts von über 12.000 Mitgliedern im Landesverband. Aber so viele wie an diesem Vormittag gab es in früheren Zeiten bei normalen Parteikonferenzen nicht. Im Mai hatten bereits die Grünen einen kleinen Parteitag ins Netz verlagert. Das allerdings wirkte eher wie ein müder Abklatsch eines echten Treffens, weil sich das Ganze auf einen Info-Abend der beiden Parteichefs zum Wahlprogramm und Fragen von nicht eingeblendeten Mitgliedern beschränkte.

In Britz auf Sendung

Da kommt die CDU an diesem Vormittag schon professioneller daher. Die Parteispitze leitet die Mitgliederkonferenz von einem Fernsehstudio in Britz aus. Für zwei Gesprächsrunden zugeschaltet sind Verkehrsexperten, darunter zwei Minister anderer Bundesländer, Ex-BVG-Chefin Sigrid Nikutta und die Cheflobbyistin der Autobranche, Hildegard Müller.

Ebenfalls Gesprächsgast im Studio ist der Chef einer Firma für Elektroroller, der dort umgeben von Christdemokraten munter verkündet: „Ich würde mich freuen, wenn die Berliner Innenstadt 2030 autofrei ist.“ Das mag Generalsekretär Evers dann doch nicht unkommentiert lassen: Er glaube nicht an die autofreie Stadt – „aber ein bisschen autoärmer wird es schon werden“. Eine City-Maut mit bis zu neun Euro am Tag, die die Grünen Anfang Mai erneut ins Gespräch brachten, hält in einer parallelen Umfrage immerhin knapp ein Viertel der CDU-Mitglieder für gut – 77 Prozent allerdings sind dagegen.

Von Autolobbyistin Müller, früher Junge-Union-Chefin und Staatsministerin im Kanzleramt, gibt es noch am ehesten die klassischen CDU-Töne: „Jedes neue Auto ist ein Schritt Richtung Klimaschutz“, meint sie mit Verweis auf neue Technik, eine Fixierung auf E-Autos ignoriert aus ihrer Sicht das Nachfrageverhalten. Nikutta hingegen wiederholt Kritik, die sie schon bei ihrem Wechsel von der BVG in den Vorstand der Deutschen Bahn äußerte: „Wir haben ungesteuert zugelassen, dass LKWs die Stadt erobert haben.“

Für die CDU-Landesspitze ist es auch ein Probelauf. Bislang sind laut Parteienrecht Online-Parteitage nicht möglich, zumindest in dem Sinne, dass Wahlen und Kandidatenaufstellungen gültig wären. Die Online-Abstimmungen des Tages gelten nicht als offizielle Parteibeschlüsse, sollen aber ins Programm für die Abgeordnetenhauswahl 2021 einfließen.

Prüfstein dafür ist ein Konzeptpapier des Landesausschusses Mobilität: Das soll noch im Juni dem Parteivorstand vorliegen. Die Grünen müssen trotzdem keine Angst haben, verkehrspolitisch überholt zu werden: Tempo 30 überall, das wollen 92 Prozent der CDUler dann doch nicht.