Orbán-kritische Straßenzeitung in Ungarn: Preis für Guerilla-Printing
Von Hand gedruckt und in der Provinz verteilt: Eine kleine ungarische Zeitung hält das Ideal der unabhängigen Presse hoch.
In der vergangenen Woche wurden zwei Facebook-User in Ungarns Provinz von der Polizei verhört. Ihr Verbrechen: Sie hatten im Netz Kritik an Premier Viktor Orbán geübt. Zwar sah die Staatsanwaltschaft keinen Grund, die Männer weiter zu verfolgen, doch Oppositionelle verstehen die Aktion als gezielte Einschüchterung.
Ausgewogene Nachrichten sind in Ungarn ein rares Gut. Praktisch alle Regionalzeitungen, viele davon mit großer Auflage, wurden schon vor Jahren in eine von der Regierung kontrollierte Stiftung gezwungen. Sie verbreiten nur Nachrichten, die in das zunehmend autoritäre Konzept des Premiers passen.
Gegen dieses Meinungsmonopol richtet sich die Straßenzeitung Nyomtass te is, auf Deutsch: „Druck auch du!“. Am Wochenbeginn rücken in Kleinstädten und Dörfern Freiwillige aus und verteilen zusammengefaltete DIN-A4-Blätter. Passanten werden angesprochen. Manche nehmen das Blatt zögernd, andere bereitwillig, wieder andere weisen es empört zurück.
Ursprünglich, so Kornel Klopfstein-László, einer der Mitbegründer der Gratiszeitung, wurden unterdrückte Nachrichten ins Netz gestellt. Die Leser sollten ein PDF selber ausdrucken. Aber so funktioniert das vor allem dort nicht, wo die Herausgeber ihre Zielgruppe sehen, nämlich in der Provinz, in den kleinen Gemeinden, wo die Regierungspropaganda flächendeckend funktioniert. So erinnerte man sich an Samisdat, jene Untergrundmedien, mit denen Dissidenten früher Informationen verbreiteten. Heute riskiert man zwar nicht mehr Leben oder Freiheit, doch bedarf es einer gehörigen Portion Idealismus. Und ohne die vielen Freiwilligen, die auf eigene Kosten jede Woche die Zeitung vervielfältigen und verteilen, würde das System nicht funktionieren.
Nyomtass te is ist ein unprätentiöses Medium. Auf vier Seiten werden Nachrichten aus anderen Medien zusammengestellt, die in der Regierungspresse nicht vorkommen: Skandale um die Günstlinge Orbáns, Berichte rund um das Tabu-Thema Migration und Flucht, Enthüllendes aus dem vernachlässigten Gesundheitswesen oder dem Bildungssektor.
Anfang Mai wurde das Projekt mit dem 3. Preis der österreichischen Sozialmarie ausgezeichnet, der mit 5.000 Euro dotiert ist. Eine echte Hilfe, denn anders als traditionelle Gratiszeitungen, die in U-Bahn-Stationen ausliegen, wird das Blatt nicht durch großzügige Werbung gesponsert, sondern lebt von Kleinspenden und ehrenamtlicher Arbeit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Toxische Bro-Kultur
Stoppt die Muskulinisten!
Wahlkampfchancen der Grünen
Da geht noch was
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Trumps Krieg gegen die Forschung
Bye-bye, Wissenschaftsfreiheit!