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: Und plötzlich ist das Gummiboot das Teil des Jahres

F ast schade, dass ich niemanden namens Corinna kenne. Sonst könnte ich über die „Corinnakrise“ schreiben und das mit Anekdoten aus einem Leben mit Corinna unterfüttern. Geschichten darüber, wie gemein Corinna ist. Wie hinterhältig. Aber so bin ich auf das andere Wort mit C angewiesen. Immerhin, es ist Ende Mai, Thüringen ist das neue Schweden und „Corona“ nicht mehr das erste Wort am Morgen. Sondern vielleicht das fünfte oder sechste.

Die sozialen Medien haben eine neue Reaktion eingeführt, es ist immer noch nicht der Daumen nach unten, sondern ein Kissen umarmendes Smiley. Ich überlege, es ihnen gleichzutun. Aber ich weiß nicht genau, wie meine Reaktion aussehen soll. Eine neue Reaktion, das ist gar nicht so einfach. Schulterzucken, ratlose Miene, latentes Unwohlsein, abwinkende Grundeinstellung, das kennt man alles schon. Es sollte eine Reaktion sein, die man noch nicht im Repertoire hatte.

Auch neu ist, dass da draußen das Gummiboot das Gadget, das Teil des Jahres ist. Wenn ich das recht beobachtet habe, gibt es einen Gummibootverleih, der per Lastenfahrrad liefert. „Call a rubber boat“, schon kommt ein unterbezahlter Expat gefahren, und man kann das Gummiboot aufpumpen, um damit auf dem Kanal zu treiben. Ganze Geburtstagspartys finden so statt. Natürlich mit reichlich Alkohol und alten Hits aus dem Ghettoblaster: Immer noch „Don’t You Want Me“, wirklich? Mittlerweile wünschen sich Anwohner die Reederei Riedel mit ihren Ausflugsschiffen zurück, denn die machen weniger Lärm. Wühlen allerdings auch mehr Dreck auf. Der Landwehrkanal weist dieser Tage fast einen Venedig-Effekt auf – man kann teilweise bis auf den Grund sehen. Leider kein besonderer Anblick. Seltene Fische und Quallen bekommt man nicht zu sehen, sondern nur Steine und Sand.

Am Ufer sitzend, mit dem obligatorischen To-go-Drink im Wegwerfbecher in der Hand, halten wir Abstand und erzählen uns unsere Alpträume. Für die Träume können wir nichts; da waltet nämlich unser Unbewusstes. Ein Freund erzählt von einem Alptraum, wo er unter lauter maskenlosen Menschen auf einer Party ist und fassungslos bemerkt: Aber es ist doch Corinna! Wieso trägt hier niemand eine Maske, wieso hält niemand Abstand?

Ich erzähle von meinem ersten Corinna-Traum, aus der Nacht vor dem Lockdown. Da saß eine Chinesin auf einem Pick-up am Rande der Landstraße vor dem von einer unübersichtlichen Menschenmenge gefüllten Marktplatz und schoss mit einem MG wahllos in die Menge. Die Chinesin kenne ich nicht, es ist nicht die, die ich gut kenne. Die Chinesin im Traum bleibt gesichtslos. Blut spritzt, Knochen fliegen. Ich stehe entfernt, gebannt von der Situation, und wende mich endlich ab, mit Mühen, nicht ohne Widerstand, aber doch. Ich verlasse den Ort, nicht panisch, sondern betont ruhig, und gehe langsam in die andere Richtung. Dann wache ich auf.

„Corinna“ heißt ein alter Song der alten Band „Die Regierung“. Kein Scheiß, keine Verschwörung! Band und Song heißen wirklich so, lässt sich auf Youtube finden: „Hey Corinna, was ist das für’n Leben? / Wir kriechen im Staub / Und wir schlafen im Regen“, heißt es darin. „Und du leuchtest wie ein Diamant / Und du weißt, sie wollen dich besitzen / Und jetzt kommen sie näher /’s ist genau wie gestern / Und ich glaub’, ich will das nicht seh’n.“ René Hamann