berliner szenen
: Kinder, Amseln und der Rauch

Lange dachte ich: Da, wo ich sitze, ist alles wie immer. Seitenflügel, ganz oben. Dächer, Schornsteine, Graffiti, Himmel. Das S-Bahn-Rattern, dazu die Ohrwürmer der Musiker, die unter der Hochbahn stehen, ein Stück weit weg, aber die versponnene Physik der Schallwellen macht’s möglich. Hier drin, machte ich mir vor, gibt es kein Vorher-Nachher, keine Zeitenwende. Nur ein “Wie seit fast sieben Jahren“. Homeoffice.

Aber dann. Zuerst dudelten abends die Amseln im Hof so laut wie nie. Jeden Abend um die gleiche Zeit, so melodiös, als wären’s Nachtigallen. Als wollten sie dem pandemischen Irrsinn was Schönes entgegensetzen, als hätten sie’s sich in Italien von den Balkonkonzerten abgeschaut.

Und auf einmal hörte ich Kinder. Es wohnen fünf, sechs im Haus, der Hof hat eine bessere Akustik als jedes antike Amphitheater – und dennoch waren sie bislang nie zu hören. Nun waren sie Teil des Hausalltags. Spielend im engen Hof, stress-brüllend in ihren Wohnungen, das würde ich auch machen an ihrer Stelle.

Auch mein Ausblick hat sich in einem Detail geändert. Die Frau gegenüber, sie lebt seit März hinter zugezogenen schwarzen Vorhängen. Als nehme sie es ernst mit dem Verbarrikadieren, als wollte sie nicht nur die Sonne fernhalten. Vielleicht arbeitet sie im Krankenhaus, in der Pflege, denke ich, sie wird ihren Schlaf brauchen.

Das Auffälligste aber passiert seit zwei, drei Wochen abends. Abends, auch nachts, riecht es in meinem Schlafzimmer anders. Meine Oberfenster sind immer offen und plötzlich nun: Zigarettenrauch. Von unten oder vom Vorderhaus. Jemand hat frisch begonnen oder nach sieben Jahren aufgehört zu pausieren. Kinder, Vorhänge, Amseln, ein beständiger Hauch an Rauch. Es kommt als Nuance bei mir an, was sich im Leben der anderen ändert. Anne Haeming