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Erwachen im Olympia-TrainingszentrumPolieren statt Paddeln

Nach wochen­langem Leerstand ziehen die ersten Athleten wieder in Kienbaum, der Herzkammer des olympischen Sports, ein. Ein Ortsbesuch.

Die Ruhe vor der Lockerung des Lockdowns: Turnhalle ohne Turner in Kienbaum Foto: Andreas Rüttenauer

Kienbaum taz | Still ruht der See. Ein paar rote Bojen schwimmen auf der Wasseroberfläche. Kleine gelbe Schwimmkörper markieren eine Rennstrecke. Sechs Motorboote sind sorgsam verpackt an einem Steg vertäut. Lange schon sind sie nicht mehr bewegt worden. Kein Trainer, der vom Boot aus seinen Athleten mit lauter Stimme antreibt. Kein Sportler, der mit seinem Paddel ins Wasser sticht. Wer die Ruhe liebt, der muss sich wohlfühlen an diesem sonnigen Morgen am Liebenberger See.

Wer den Leistungssport liebt, der leidet an der Stille von Kienbaum. Der Trainingsbetrieb im Olympischen Trainingszentrum für Deutschland, 30 Kilometer östlich von Berlin gelegen, ruht seit Wochen. Der Spitzensport ist zur Coronapause verdammt. „Es ist kaum auszuhalten“, sagt Klaus-Peter Nowack, der Geschäftsführer der Trainingsstätte.

Am Montag könnte es ihm wohler ums Herz werden. Der Deutsche Kanu-Verband hat seine Elitesportler für einen Lehrgang angemeldet. Es gibt Anfragen anderer Verbände. Der Betrieb wird wieder hochgefahren. Langsam und unter Wahrung der üblich gewordenen Hygiene- und Abstandsregeln. Klaus-Peter Nowack zeigt den Kalender, auf den er die Buchungen einträgt. Auf dem Vor-Pandemie-Kalender ist kaum eine freie Stelle.

Die Sportgymnastinnen wären eigentlich gerade da, Radsportler, die Männerriege des Judo-Verbands, die Leichtathleten hätten ihre Stabhochspringer geschickt. Die Basketballer hatten sich angekündigt, die Boxer und die Kanuten. Die Vorbereitungen auf die Olympischen Spiele würden gerade auf einen Höhepunkt zulaufen. Die Spiele sind längst ins nächste Jahr verschoben, Trainingspläne dafür Makulatur.

Nur Einzelübernachtung

Der Pandemie-Kalender sieht da ganz anders aus. Auch der fülle sich gerade. Ab dem Sommer sei man schon wieder ausgebucht, sagt Nowack. Das liegt auch am Hygienekonzept, das er bei den Gesundheitsbehörden vorgelegt hat. In den Zimmern der Wohnpavillons und des großen Bettenhaus darf nur einzeln übernachtet werden. Normalerweise können mehr als 400 Sportler und Trainer untergebracht werden. Höchstens 200 sind es unter Pandemiebedingungen.

Es wird also ruhiger bleiben, als es im Vorjahr war. Da seien die 61 Beschäftigten an ihre Belastungsgrenze gestoßen, weil so viele Verbände Kaderathleten angemeldet hatten. Dazu kommen die Breitensportvereine, die sich für Trainingslager einmieten können, wenn gerade einmal nicht so viele Spitzensportler auf den Anlagen trainieren. „Das tut sicher vielen auch einmal gut“, so Nowack, der auch sagt, was viele in diesen Tagen meinen: „Wir haben die Krise auch als Chance gesehen.“

Bei einem Rundgang vorbei an der Volleyballhalle, den nagelneuen Judo­matten, durch die Laufhalle mit der Hightech-Anlaufbahn der Stabhochspringer, der Welt- und Dreispringer, fast überall auf der Anlage, die sich über 50 Hektar erstreckt, wird deutlich, was er meint. Es wird gekehrt, geputzt, gekärchert. Es wird renoviert, gemalert und gegärtnert. „Wir haben viele Renovierungsarbeiten, die wir für den Herbst geplant hatten, vorgezogen“, sagt Nowack und erzählt, wie sich seine Mitarbeiter in ganz neuen Arbeitsfeldern bewährt hätten.

Eine Frau, die normalerweise an der Rezeption sitzt, malert die Innenräume. Küchenmitarbeiter kärchern die Terrasse und holen auch noch den letzten Rest Moos aus den Fugen der Gehwegplatten. Die Laufbahn an der Leichtathletikanlage wird auch gerade aufgemöbelt. Die Männer in Regenkleidung, die die Bahn mit Hochdruckreinigern bearbeiten, sind normalerweise dafür da, den Trainern zur Hand zu gehen, wenn es um die Bereitstellung von Matten oder Sportgeräten geht.

Eingespart: 400.000 Euro

10.000 Euro hätte die Sanierung gekostet, wenn sie wie üblich von einer externen Firma vorgenommen worden wäre. Durch den internen Stellenpool, den Nowack geschaffen hat, konnte er größere Summen, die als Ausgaben im Gesamtetat von 2,4 Millionen Euro eingeplant waren, einsparen. Auch die Energiekosten sind in Zeiten des Stillstands nicht so hoch. Das Wasser in der Schwimmhalle musste nicht geheizt werden. Gut 400.000 Euro hat Nowack auf diese Weise eingespart.

Der Geschäftsführer, der seit fast 20 Jahren an der Perfektionierung des Leistungssportzentrums, das als Medaillenschmiede der DDR in die Sportgeschichte eingegangen ist, arbeitet, weiß, dass das nicht reicht. Überlebensängste hat er nicht: „Das BMI steht hinter uns“, sagt er. Es gebe zwar noch keine konkreten Zusagen aus dem Bundesinnenministerium, aber die Signale seien positiv.

Im Ministerium rechnet man einer Mitteilung zufolge mit einem Mehrbedarf von 1,2 Millionen Euro für Kienbaum. Und dann ist da noch etwas, was Nowack Hoffnung macht. Er rechnet damit, dass aufgrund der Pandemie viele Trainingsaufenthalte im Ausland gecancelt werden müssen. „Davon werden wir natürlich profitieren.“

Nach dem großen Reinemachen in der Coronapause wird so manches kaum wiederzuerkennen sein. Der Li­no­leum­boden in den Räumen des medizinischen Zentrums, in denen sich die Athleten von ihren Physios durchkneten lassen können, glänzt, als sei der General aus der Fernsehwerbung darübergegangen. Beim Rundgang durch die Anlagen schaut Nowack genau in jede Ecke. „Manchmal denkt man, die schwarzen Ränder neben der Dusche gehen nie mehr weg“, sagt er, „aber sie gehen weg.“

Wildschweine beim Hammerwurf

Stolz zeigt er auf die Außenmauer des Wohnheimgebäudes, das das Sonnenlicht reflektiert. „Die war grün und ist jetzt wieder wie neu.“ Der Rasen vor einer Hammerwurfanlage macht ihm Sorgen: „Da waren die Wildschweine.“ Jetzt muss der Zaun ausgebessert werden, bevor die ersten Leichtathleten kommen. An der Kantine, deren Essensausgabe zum Schutz vor Ansteckungen mit Plexiglasscheiben versehen worden ist, wird es plötzlich laut. Ein Mann mit Laubbläser scheint noch ein Blatt auf den ansonsten so sauberen Treppenstufen zur Kantine gefunden zu haben.

Für die Mitarbeiter gelten dort schon die Regeln, die ab Montag auch die Sportler zu beachten haben. Es gilt Abstand zu halten an der Essensausgabe, und setzen darf man sich nur auf die Plätze, vor denen Messer und Gabel liegen – weit auseinander. Alle haben zu der ihnen vorgegeben Zeit in der Kantine zu erscheinen, sonst gibt es nichts mehr. Es ist dies nur ein kleiner Teil der Hygienevorschriften, zu deren Einhaltung sich alle Gäste verpflichten müssen. „Wer sich nicht daran hält, der muss abreisen“, sagt Nowack.

Zum Hygienepaket gehört auch ein Fragebogen, in dem die Sportler über ihren Gesundheitszustand Auskunft geben müssen. Sollte sich daraus der Verdacht auf eine Infektion mit dem Coronavirus ergeben, muss getestet werden. Für positive Falle sind zwei abgelegene Bungalows als Quarantäne­stationen vorbereitet worden, die nicht verlassen werden dürfen.

Die einfachen Hygieneregeln gelten sowieso für alle. Dazu hat Nowack Spender mit Desinfektionsmittel aufstellen lassen. Auch wie mit den Hanteln in den Kraftsporträumen umgegangen werden soll, ist klar geregelt. Wer an die Geräte will, muss sie desinfizieren. Schließlich könne man sich nicht darauf verlassen, dass der Vorturner das nach seiner Einheit gemacht hat.

Die Turner übrigens feilen noch an ihrem Hygienekonzept. Die Trainingshalle, deren Bodenmatte dieselbe ist wie diejenige, die bei den Olympischen Spielen von Tokio verwendet worden wäre, sucht ihresgleichen in der Welt. Sie wird noch eine Weile leer stehen. „Sie können die Holme nicht so einfach reinigen und desinfizieren“, erklärt Nowack. Die seien über die Jahre bearbeitet worden mit Magnesia und Harz. „Wenn wir die einfach sauber machen, dann können die Turner nichts damit anfangen.“

Wenn draußen am Liebenberger See die Trainerboote also längst wieder neben den Kajaks und Kanadiern durchs Wasser gleiten, wird in der Turnhalle weiter die beinahe schon gespenstische Coronastille von Kienbaum herrschen.

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