piwik no script img

Golfsport in der CoronakriseÜber die Grenze und darüber hinaus

Golfplätze gehen über Ländergrenzen hinweg und unterliegen damit unterschiedlichen Coronaregeln. So manche Anlagen sind jetzt zur Hälfte abgesperrt.

Auf die Dauer ist das nichts: Corona-Alternativprogramm in einem britischen Golfclub Foto: reuters/Childs

Der Weltraum, unendliche Weiten. Viele Lichtjahre von der Erde entfernt dringt die Enterprise in Galaxien vor, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat.“ („Star Trek“)

Da steht er, der Norbert Becker, 62, Sportler durch und durch, früher Drittliga-Fußballer, seit vier Jahren ein ganz normaler, also hoffnungslos besessener Golfer. Jetzt. Man darf wieder spielen. Erstmals seit Monaten. Er legt seinen Ball hin und küsst ihn für ein Dokumentationsvideo.

„Becker to serve“: Der Mann schlägt ab, mächtig steigt die Kugel, als wolle sie bis an den Rand der Unendlichkeit in eine weite Umlaufbahn um die große Kugel starten. „Wow“, sagt Becker. Das Glück in seinen Augen ist unübersehbar.

Wir sind in Belgien, Golfclub Mergelhof, gleich hinter der Grenze bei Aachen. Seit diesem Morgen im Mai darf wieder aufgeteet werden, unter vielen Auflagen.

„... dringen wir in grüne Galaxien vor“

Egal, Hauptsache spielen. Doch die heiß ersehnte Öffnung des Platzes ist nur die eine Seite. Mergelhof hat gut 500 Mitglieder, davon wohnen fast 90 Prozent in Holland oder Deutschland. Und die belgischen Grenzen sind weiter dicht. Also könnten nur 60 Leute kommen. Die mit Wohnsitz Belgien. Die anderen nicht.

Ende April wollten wir uns an der Grenze treffen und hin und her putten, als Demo für ein lebensoffenes Dreiländer­eck.

Ein Drama. Von Ausgeschlossenen aus Aachen sind Sätze überliefert wie: „Ich werd bekloppt bei dem Gedanken.“ Heute alles fast exklusiv für uns. Auf dem Parkplatz stehen ganze sieben Autos und das E-Bike des Autors. „Viele Lichtjahre von der deutschen Grenze entfernt“, albert Becker, „dringen wir in grüne Galaxien vor...“

Auch Deutschland hatte wochenlang seine golfgeografischen Grotesken: Der Platz Bremer Schweiz öffnete nur seine halbe Anlage, weil die andere Hälfte im Verbotsland Niedersachsen liegt. Oder Reit im Winkl, europäisch gedacht, im Coronanationalismus geteilt: Der Platz war gleichzeitig offen und geschlossen, weil er zu Teilen in Bayern und Österreich liegt.

Beim Putten droht eine empfindliche Strafe

Belgien hatte (und hat teils noch) brutale Ausgangsbeschränkungen. Nur der Supermarkt nebenan und Arztbesuche waren erlaubt, kurze Spaziergänge allein in der Gemeinde. Als Freunde aus Aachen zur Saisonpremiere nach Rheinland-Pfalz düsten, musste Becker zurückbleiben.

Bei Verstößen ist Belgien gnadenlos: 250 Euro, manchmal doppelt: 250 für das Vergehen, 250 dazu für die Ausrede-Falschaussage. Beckers Nachbar hatte eine ladeschwache Autobatterie. Rundfahrt zum Aufladen, Polizeikontrolle: 250. Eine neue Batterie wäre preiswerter gewesen.

Zwei Monate lang hatte Becker in seinem kleinen Garten übungshalber Bälle gegen einen aufgehängten Teppich als Fangnetz geprügelt und drinnen in Kaffeebecher geputtet. „Auf Dauer ist das aber auch nichts.“ Ende April wollten wir uns am Grenzübergang treffen und ein paar Bälle hin und her putten, als Demo für ein lebensoffenes Dreiländer­eck. Die Gemeindeverwaltung riet Becker dringend ab: 250.

Am Ende unserer einsamen Runde sagt er: „Nichts gegen Sex, aber wenn tiefe Befriedigung ein Wort braucht, dann dies: Heute.“

Aus dem Abc der Vorurteile – heute I wie Immergleich. Da sagen Leute: „Ist doch öde, auf einer gemähten Wiese Bälle vor sich her zu schubsen. Wandern kann man auch so.“ Die Wahrheit: „Nur Golf spielen ist Wandern mit Sinn.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Bernd Müllender
Sohn des Ruhrgebiets, Jahrgang 1956, erfolgreich abgebrochenes VWL- und Publizistikstudium, schreibe seit 1984 für die taz – über Fußball, Golf, Hambacher Wald, Verkehrspolitik, mein heimliches Lieblingsland Belgien und andere wichtige Dinge. Lebe und arbeite als leidenschaftlich autoloser Radfahrer in Aachen. Seit 2021 organisiere und begleite ich taz-LeserInnenreisen hierher in die Euregio Maas/Rhein, in die Nordeifel und nach Belgien inkl. Brüssel. Bücher zuletzt: "Die Zahl 38.185" - Ein Fahrradroman zur Verkehrswende (2021). "Ach, Aachen!" - Textsammlung aus einer manchmal seltsamen Stadt (2022).
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!