„Diese Songs begleiten mich seit Jahrzehnten“

Er ist Schauspieler und Hitchcock-Fan, aber für Generationen war er vor allem die Stimme eines der „Drei Fragezeichen“. Jetzt hat der Hamburger Jens Wawrczeck ein ganzes Album mit Liedern aus alten Filmen eingesungen – der Titel: „Celluloid“. Ein Gespräch über zu Tode gecoverte Hits, die Schönheit von 60er-Jahre-Arrangements und das Bewahren von Kreativität in Krisenzeiten

Eine andere Art von Nacktheit, das Singen: Jens Wawrczeck und viel Celluloid Foto: Christian Hartmann

Interview Wilfried Hippen

taz: Herr Wawrczeck, bei Ihrem Gesangs-Debütalbum sind Sie nicht auf Nummer sicher gegangen: Statt bekannter Filmlieder interpretieren Sie darauf eine sehr persönliche Auswahl, meist wenig bekannte Songs aus den 1960er-Jahren. Warum?

Jens Wawrczeck: Hits wie „Moon River“ oder „Somewhere Over the Rainbow“ haben wir absichtlich gemieden, denn die wurden ja schon zu Tode gecovert. Ich habe als Kind mit meinem ersten Taschengeld schon Schallplatten mit Filmmusik gekauft und alle zwölf Songs, die ich jetzt neu interpretiert habe, begleiten mich schon seit Jahrzehnten.

So klingen sie auch. Es gibt auf „Celluloid“ wohl keinen Ton, der so nicht auch in den 60ern schon hätte gespielt oder gesungen werden können. Ein Retro-Konzept?

Da spielt meine Liebe zu den Filmen, Kompositionen und Arrangements aus dieser Zeit eine große Rolle Für mich war wichtig, dass wir diesen Sound mehr oder weniger unplugged und analog aufnehmen konnten. Und wir haben dafür in Berlin das alte Tonstudio „Chez Cherie“ in der Sonnenallee gefunden. Dort zu arbeiten, fühlte sich an, als wäre man in einer Zeitmaschine.

Mit „Porque te vas“ aus dem Carlos-Saura-Film „Cria Cuervos“ – „Züchte Raben“ – von 1976 gibt es einen Song, der nicht aus den 1960er-Jahren ist. Auch den haben ihre Arrangeure, Leonard Mahlich und Christopher Noodt, aber älter klingen lassen.

Im Original war das eine Diskonummer, und es war klar, dass ich den Song so nicht präsentieren konnte, weil mich dieses Arrangement zu eng in ein Korsett geschnürt hätte. So wie er jetzt klingt, erinnert er ja eher an einen Italo-Western. Das war auch für mich ein verblüffendes Ergebnis.

War es Ihnen wichtig, den Liedern auch im Kontext zu den Filmen gerecht zu werden?

Ja, ich bin als Schauspieler an diese Songs gegangen und hatte für jeden von ihnen einen eigene Szene im Kopf, die ich dann vermitteln wollte.

Der einzige Hit ist „You Only Live Twice“ aus dem gleichnamigen James-Bond-Film. Wie kam es zu Ihrer ruhigen Interpretation, so ganz ohne Geheimagenten-Glamour und Machismo?

Ich habe diesen Song ausgewählt, weil ich den Text so toll finde. Er handelt ja davon, dass jeder von uns zwei Leben lebt, eines in der Realität und eines in seinen Träumen. Das trifft auch auf mich zu. Und ich hatte immer das Gefühl, dass meine Träume mir viel Kraft für das reale Leben geben.

Man kennt Sie als Sprecher, auch als Schauspieler. Wie sind Sie denn überhaupt zum Singen gekommen?

Solange ich denken kann, wollte ich Schauspieler oder Sänger werden. Als Kind habe ich mir dann vorgestellt, was passieren würde, wenn ich auf der Bühne stehen und plötzlich einen Hustenanfall bekommen würde. Bei einem Schauspieler wäre das nicht so schlimm, und so habe ich mich ganz pragmatisch für diesen Weg entschieden. Aber der Wunsch zu singen war immer da, und ich habe bei meinen Projekten, immer wenn es ging, ein wenig Gesang reingeschmuggelt.

Warum hat es dann so lange gedauert bis zu Ihrem „Debüt“?

Weil ich unglaublich viel Zeit mit anderen Projekten verbracht habe und verbringe, die mich auch begeistern. Und so wurde immer wieder die Erfüllung meines größten Wunsches aufgeschoben. Die Sache ist nur die: Je länger man davon spricht, sein Herzensprojekt umzusetzen, desto größer wird die Angst vor dem tatsächlichen Ergebnis. Das kann ja auch eine Enttäuschung sein. Das war es bei „Celluloid“ nicht – im Gegenteil!

Sie haben unter anderem Hörbuchfassungen produziert: von Romanen, die Al­fred Hitchcock dann als Vorlagen für seine Filme genommen hat. Ob Filme oder Lieder, in beiden Fällen machen Sie sich ja einen eigenen Reim auf etwas, das Sie bewundern. Haben Sie vielleicht auch Zeit gebraucht, bis Sie sich das zutrauten?

Ja, die Chuzpe hatte ich vorher noch nicht. Man macht sich da ja auch angreifbar. Ich war lange lieber in meiner Komfortzone mit meinen Hörbüchern und dem Theaterspielen. Da ist man ja immer auch in einem Schutzraum. Aber jetzt übernehme ich die komplette Verantwortung, und kann auch von allen Seiten beschossen werden. Das ist eine andere Art von Nacktheit.

Sie haben das Album in der vergangenen Woche veröffentlicht. Wie sehr hat Ihnen die derzeitige Coronakrise die Premiere verdorben?

Wir hatten für den 6. Mai eine große Release-Party im Metropolis-Kino geplant – die werden wir jetzt im Herbst nachfeiern.

Haben Sie auch darüber nachgedacht, den Veröffentlichungstermin zu verschieben, so wie es Verleiher mit Filmstarts machen?

Jens Wawrczeck, 56, lebt in Hamburg. Er arbeitet als Schauspieler, Hörspiel- und Synchronsprecher, Synchronregisseur und Dialogautor. Bekannt wurde er durch die 1979 gestartete Hörspielserie „Die drei ???“: als Stimme von Peter Shaw, dem „Zweiten Detektiv“. Unregelmäßig macht er sich in Hamburger Theatern und Programmkinos verdient um die Vermittlung der Filme Alfred Hitchcocks: mit szenischen Lesungen unter dem Titel „Hitch und ich“.

Nachdem ich es so lange ausgebrütet hatten, wollte ich dieses Baby nicht noch länger zurückhalten. Und vielleicht hat es so ja auch sein Gutes, denn alle sind ein bisschen ausgehungert nach Kultur, und dies ist ein Album, das gute Laune macht.

Hatten sie am Ende auch schon eine Konzerttournee geplant, wie das ja üblich ist?

Wir machen das dann vielleicht im nächsten Jahr, aber ich habe eine andere Idee: Ich könnte die Coronazeit ja ausnutzen und die zwölf Songs wie in einer amerikanischen Fernsehshow aus den 1960er-Jahren inszenieren: Es gibt gleich bei mir um die Ecke das kleine „Theater im Zimmer“. Das könnte ich für eine Woche mieten und da mit den Musikern und ambitionierten Kameraleuten arbeiten.

Glauben Sie, dafür einen Fernsehsender zu finden?

Ich habe da eher an die Social Media gedacht und würde die Show dann ins Internet packen.

Und wer trägt für so etwas die Kosten?

Ohne Preis kein Fleiß! Aber ernsthaft: Das wären dann ja im Grunde schon die Proben für die Bühnentour und dabei braucht es solche Phasen zum Ausprobieren. Und ich will mir nicht durch diesen blöden Virus meine Kreativität beschneiden lassen.

„Celluloid“ ist seit dem 8. Mai auf Vinyl und als CD bei Audoba/Goldbek Records erhältlich