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Studieren auf Pump

Seit zwei Wochen treffen sich Professor*innen und Studierende zu virtuellen Vorlesungen und Seminaren. Das größte Problem in diesem Sommersemester sind aber weder die Technik noch der Datenschutz – sondern die weggebrochenen Nebenjobs

Aus Berlin Georg Sturm

Eigentlich säße Teresa Tiedge an diesem Donnerstag im Kurs „Einführung in die Neuere Deutsche Literatur“. So sieht es der Stundenplan für ihr Sommersemester an der Freien Universität Berlin vor, das vor gut zwei Wochen begann. Doch anstatt im Hörsaal lernt die Lehramtsstudentin in ihrem WG-Zimmer in Berlin-Wilmersdorf. An einem Schreibtisch, hinter dem ein Wäscheständer zum Träger eines halbfertigen Puzzles umfunktioniert wurde. Von hier aus besucht die 27-jährige Studentin ihre Kurse, hier wird sie auch ihre Referate halten und vielleicht auch ihre Klausuren schreiben. Damit ist sie nicht allein: Wegen der Coronapandemie haben knapp drei Millionen Studierende Seminarräume, Labore und Bibliotheken mit ihren WG-Zimmern getauscht.

„Ich habe alle meine Kurse bekommen“, erzählt Tiedge. Drei Vorlesungen, vier Seminare und ein Tutorium – alle Lehrveranstaltungen der Studentin konnten in digitale Räume verlegt werden. Wie diese gestaltet werden, ist von Kurs zu Kurs unterschiedlich. „Die Vorlesungen werden als Videos oder Audiodateien hochgeladen“, sagt die angehende Grundschullehrerin. Andere Kurse finden als regelmäßige Videokonferenzen statt.

Rund 4.000 solcher Videokonferenzen werden laut Universitätspräsident Günter Ziegler an der FU Berlin täglich abgehalten. Damit das Lehrangebot digital umgesetzt werden kann, setzt die FU Berlin wie die meisten deutschen Universitäten auf externe Anbieter. Zusätzlich zu den bestehenden Lernplattformen entsteht dadurch vielerorts ein Flickenteppich aus verschiedenen Tools und Programmen. „Ich fände es leichter, wenn es eine einheitliche Plattform gäbe“, sagt Tiedge. Zudem werden die Uni-eigenen Server durch die vermehrte Nutzung stark belastet: „Zu den Stoßzeiten ist die Lernplattform manchmal sehr langsam.“

Zu den technischen kämen bei den Onlinekursen noch ganze andere Probleme hinzu, sagt AStA-Sprecher Gabriel Tiedje. Vor allem datenschutz-rechtliche. Der 28-Jährige studiert Wissenschafts- und Technikgeschichte an der TU Berlin und arbeitet neben dem Studium in der Hochschulberatung. Dort seien ihm verschiedene Beschwerden von Studierenden zu Ohren gekommen: Manche Dozierenden bestünden darauf, dass alle Studierenden ihre Kameras während der Onlinseminare einschalteten. „Vielleicht will aber nicht jeder den Dozierenden und Mitstudierenden zeigen, wie man lebt oder welche Bücher man im Regal stehen hat“, erklärt Tiedje.

Über das Videokonferenz-Tool Zoom sei es bei bestimmten Einstellungen schon vorgekommen, dass die dozierende Person die Mikrofone aller Teilnehmer*innen eingeschaltet habe. „Dadurch waren plötzlich alle privaten WG-Gespräche hörbar.“ Auch die Möglichkeit, Screenshots aufzunehmen, verletze die Privatsphäre, erklärt Tiedje.

Für viele Dozierende sind die Datenschutzbestimmungen derzeit die geringste Sorge. Viele machen ihre ersten Versuche mit Programmen wie Zoom und sind froh, wenn die Veranstaltungen einigermaßen reibungslos über die Bühne gehen. Was dies angeht, kann sich Paula Irene Villa nicht beklagen. Die Soziologieprofessorin an der Ludwig-Maximilians-Universität München sitzt im Homeoffice vor dem Laptop und berichtet von den ersten beiden Semesterwochen: „Wenn ich ehrlich bin, dann erlebe ich die digitale Lehre als überraschend unproblematisch.“

Das digitale Sommersemester

Im Notbetrieb Am 20. April, eine Woche später als gewöhnlich, begann an den meisten deutschen Hochschulen das Sommersemester. Seit Mitte März befinden sich die Universitäten wegen der Coronapandemie im Notbetrieb. Präsenzlehrveranstaltungen gibt es vorerst keine, die meisten Seminare finden nun digital statt.

Ohne Kohle Nur etwa 13 Prozent der Studierenden in Deutschland erhalten BAföG. Nach einem Minusrekord im Jahr 2018, als nur 339.000 Studierende BAföG erhielten, hat der Bundestag im Mai 2019 die BAföG-Reform der Regierung verabschiedet. Unter anderem wurden die Bedarfssätze (um sieben Prozent) und die Wohnpauschale (von 250 auf 325 Euro) erhöht, die Einkommensgrenzen neu gesetzt und die Rückzahlung der BAföG-Schulden erleichtert. Der Höchstsatz liegt nun bei 861 Euro im Monat. Im Jahr 2018 erhielten Studierende im Schnitt 493 Euro BAföG. (taz)

Ende März hatte Villa gemeinsam mit Andrea Geier von der Universität Trier und Ruth Mayer von der Leibniz Universität Hannover einen viel diskutierten offenen Brief initiiert. Darin forderten die drei Professorinnen, die besonderen Belastungen für die verschiedenen Statusgruppen an den Hochschulen bei der Gestaltung des Semesters zu berücksichtigen. Erwerbstätige Studierende, Studierende und Lehrende mit Care-Verpflichtungen, ausländische Studierende sowie prekär und befristet Beschäftigte stünden durch die Coronakrise vor zusätzlichen Herausforderungen, heißt es in dem Schreiben.

Mit der Umsetzung dieser Forderung an den Hochschulen sei sie „semi-zufrieden“, sagt Villa. Denn: So problemlos wie an ihrer Universität, funktioniere die digitale Lehre nicht überall. Die Studierenden an ihrem Fachbereich seien meist wohlsituiert. „Die haben alle schnelles Internet und sind technisch gut ausgestattet.“ An anderen Studienorten und in anderen Fächern sehe die Situation jedoch prekärer aus, stellt die Soziologieprofessorin klar.

Ein bis fünf Prozent der Studierenden in Deutschland verfügten über keine W-LAN-Verbindung und seien daher in der Teilnahme an Onlineseminaren eingeschränkt, räumte Peter-André Alt, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) in einem Interview mit dem ZDF-Morgenmagazin Anfang April ein. Weitaus mehr Studierende sind durch die Corona­krise jedoch vor ganz grundlegende Herausforderungen gestellt: Nach der Sozialerhebung des Deutschen Studierendenwerks zufolge jobben zwei Drittel der Studierenden. Unter den ausländischen Studierenden sogar drei von vier. Ob in der Gastronomie, auf Messen oder im Theater – viele typische Studi-Jobs sind vorerst auf ­unbestimmte Zeit weggebrochen.

Auch die Berliner Lehramtstudentin Teresa Tiedge hat ihren Nebenjob verloren. Um sich ihr Studium zu finanzieren, arbeitete sie als Tresenkraft am Empfang eines Fitnessstudios. Nachdem dieses Ende März wegen der Coronapandemie schließen musste, ist die Studentin nun auf die Unterstützung ihrer Eltern angewiesen. Nur 13 Prozent der Studierenden sind durch das BAföG abgesichert. Studierende, die keinen Anspruch auf staatliche Förderung haben und anders als Teresa Tiedge nicht von ihren Eltern unterstützt werden können, sehen sich nun mit existenziellen Problemen konfrontiert. Denn: Miete, Strom, Internetkosten und Essen müssen weiterhin bezahlt werden. Einen neuen Nebenjob zu finden, ist angesichts des Ausnahmezustands kein leichtes Unterfangen.

Um Studierende in Notlage zu unterstützen, hat Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) vergangene Woche verschiedene Maßnahmen angekündigt: Studierende können ab diesen Freitag bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) ein zinsloses Darlehen von bis zu 650 Euro im Monat beantragen. Für die ausländischen Studierenden wird der Studienkredit ab Juli geöffnet. Dadurch habe man eine „schnelle und unbürokratische Lösung“ gefunden, wiederholte Karliczek während der Pressekonferenz am Donnerstag mantrahaft. Zudem sollen die Nothilfefonds der Studierendenwerke mit 100 Millionen Euro ausgestattet werden, um Studierenden in besonders akuter Notlage zu helfen.„Auch wenn wir uns eine solche Lösung für alle erhofft hatten, ist der Nothilfefonds, aus dem direkte darlehensfreie Zuschüsse gewährt werden können, eine sehr anerkennenswerte Maßnahme“, teilte HRK-Präsident Alt mit.

Bei Gewerkschaften, Oppositionsparteien und Studierendenvertretungen stößt Karliczeks Vorhaben hingegen auf harsche Kritik. Es sei falsch, „Studierende in der Not zu zwingen, einen Schuldenberg von über 7.000 Euro anzuhäufen“, kritisiert Andreas Keller, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Wie bei der Soforthilfe für Selbstständige und Unternehmen solle auch die Soforthilfe für Studierende ein Zuschuss sein, der nicht zurückgezahlt werden muss. „Ansonsten besteht die Gefahr, dass viele junge Menschen in den Studienabbruch getrieben werden“, prognostiziert der GEW-Vize.

Ab sofort können Studierende ein zinsloses Darlehen über 650 Euro im Monat beantragen

„Wir brauchen eine entschiedene Soforthilfe als Zuschuss und kein Verschuldungsprogramm“, fordert auch Verdi-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler. Die Gewerkschaft hatte ebenso wie die SPD-Bundestagsfraktion und alle demokratischen Oppositionsparteien eine Öffnung des BAföG gefordert. Diese sei aber am „ideologischen Widerstand“ der Bundesministerin gescheitert, beklagt SPD-Bildungspolitiker Oliver Kaczmarek. Linken-Bildungspolitikerin Nicole Gohlke bezeichnete es als „aberwitzig“, dass Karliczek den Koalitionspartner mit 100 Millionen Euro für die Studierendenwerke abspeise. Dies helfe viel zu wenigen Studierenden in akuter Finanznot.

Auch der Bundesverband ausländischer Studierender lehnt die Überbrückungskredite als „völlig lebensfremd“ ab und warnt vor einem „Teufelskreis“ der Verschuldung. Viele ausländische Studierende brächen ihr Studium im Moment bereits ab, der Studienkredit ab Juli käme daher viel zu spät.

Zu wie vielen Studienabbrüchen es in diesem Semester aus finanziellen Gründen kommt, hängt bestimmt auch mit der Dauer der aktuellen Coronamaßnahmen zusammen. Wann Studierende dann wieder hinter Bars oder an Kinokassen arbeiten können, ist momentan noch völlig unklar. Am heutigen Mittwoch wollen Bund und Länder über mögliche Lockerungen beraten.

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