Biografie des PSG-Trainers: Auf Fühlung zu Tuchel
Zwei Biografen nehmen sich den umstrittenen Fußball-Trainer Thomas Tuchel vor: gut, gründlich, unautorisiert.
Vermutlich hat Thomas Tuchel noch etliche Trainerjahre und manche Titelgewinne vor sich. Gerade ist der 46-Jährige mit Paris Saint-Germain wegen der vorzeitig abgebrochenen Saison französischer Meister geworden. Insofern wirkt das Buch „Thomas Tuchel. Die Biografie“ auf den ersten Blick wie eine etwas voreilige Bilanz.
Aber zum einen ist das Werk der beiden Journalisten Daniel Meuren und Tobias Schächter keine Biografie im klassischen Sinne, sondern die eindrucksvolle Aufzeichnung einer Trainerwerdung – der Weg vom Jugendcoach zum „Welttrainer“, wie ihn ein einstiger Förderer bezeichnet. Zum anderen wird es von dem erlesenen, aus nächster Nähe gewonnenen Stoff getragen, der eine so erfolgreiche wie rätselhafte Persönlichkeit beschreibt. Die Autoren gehören nämlich zu der Handvoll Journalisten, die an den wöchentlichen „Tuchelrunden“ beim FSV Mainz teilnahmen. Eine Art „Antrittsvorlesung in Fußballwissenschaft“, die Tuchel in einer Art missionarischen Eifer abhielt.
Meuren und Schächter haben obendrein in geradezu Tuchelscher Akribie jegliche Spuren seines Werdegangs verfolgt und zahlreiche Weggefährten zu Wort kommen lassen. Entstanden ist daraus ein vielschichtiges und kontrastreiches Bild. Einerseits gibt es Profis, die Tuchel fast schon jüngerhaft folgen wollen („Wir haben keine Zweifel an dir, wir brauchen dich als Coach“).
Andererseits werden ihm von einem Spieler pathologische Anteile in seiner Persönlichkeit attestiert – und zwar im Wachstum befindliche. Sein Ehrgeiz und seine Ungeduld können gerade für Spieler, die er nicht für förderungswürdig hält, unangenehme Züge annehmen. Auf seiner vorletzten Station in Dortmund hat er sich dadurch einige Feinde gemacht.
Daniel Meuren/Tobias Schächter: „Thomas Tuchel. Die Biografie“. Werkstatt, Bielefeld 2020, 192 Seiten, 19,90 Euro.
Eine große Stärke des Buches ist, dass die widersprüchlichen Eindrücke, die Tuchel vermittelt, beschrieben und nicht bewertet werden – und dass er darauf nicht festgenagelt wird. Vielmehr scheinen die Störgeräusche noch mehr zu unterstreichen, welch großes Potenzial Tuchel als Trainer noch hat.
Tuchel legt Wert darauf, nicht mitgearbeitet zu haben
Während seiner fünf Jahre in Mainz hatten nur vier Bundesligisten eine erfolgreichere Punktebilanz, und in Dortmund erzielte Tuchel gar einen besseren Punkteschnitt als Jürgen Klopp, der Liebling der Massen, aus dessen Schatten er sich sowohl in Mainz als auch in Dortmund herauszuarbeiten hatte.
Tuchel ist nicht Mainstream, er gefällt sich im Gegenteil als Querdenker der Elite. Davon zeugt eine interessante Anekdote der Autoren von einem Vortrag, den der Trainer vor erfolgreichen Managern hielt, die sich zur „Rulebreaker Society“ zusammengeschlossen haben.
Das Buch ist weit mehr als eine Charakterstudie. Im Beifang erfährt man etliches über die Alltagskultur im Nachwuchsleistungsbereich und in der Bundesliga, über taktisch bewusst überfordernde Trainingsarbeit und globale Entwicklungen. So wird Tuchel in Katar von Funktionären dafür gerühmt, die sportliche Arbeit des Verbandes mit seinen Anregungen revolutioniert zu haben.
Vor einigen Tagen geschah übrigens etwas höchst Seltenes. Thomas Tuchel sendete einen Twitter-Post. Er legte darin Wert auf die Feststellung, er habe mit dem Zustandekommen des Buch nichts zu tun. Und er schrieb: „Ebenso wenig ist es von mir autorisiert.“ Wer nicht an PR-Machwerken interessiert ist, sollte das als Leseempfehlung verstehen: „Nicht autorisiert“ ist bei Biografien stets ein Gütesiegel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen