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Die Arbeit hört ja nicht auf

In der Coronakrise macht sich unter Leipziger Künstler*innen wieder das Gefühl breit, nur Aushängeschild des Stadtmarketings zu sein

Gamal Adouane, Soloselbstständiger aus Leipzig, DJ und Booker in der Distillery ler Foto: Stephanie Wink

Von Christopher Resch

Keine drei Monate ist es her, da saß Burkhard Jung in der Leipziger Distillery, dem ältesten Technoclub im Osten Deutschlands. Es war ein Treffen mit Signalwirkung geplant: Mitten im Bürgermeister-Wahlkampf wollte Amtsinhaber Jung (SPD) zeigen, dass ihm die lebhafte Subkultur der sächsischen Metropole am Herzen liegt. Dass er sie schätzt, sie schützen und stärken will. Dann kam Corona, und die Leipziger Kreativszene fühlt sich angesichts der existenzbedrohenden Lage missachtet, hängengelassen, vergessen. Was ist geschehen?

Zu Beginn der Krise hatten Nachrichten die Runde gemacht, Berliner Künstler*innen hätten unkompliziert „ihre 5.000 Euro“ bekommen, teils noch am Tag der Antragstellung. Viele der Leipziger Kulturschaffenden schauen nach Berlin, gefühlt ist es eine Nachbarstadt. Dann verkündete der andere, langweiligere Nachbar Dresden einen Sofortzuschuss von 1.000 Euro. Und in Leipzig? Fehlanzeige. Das Land Sachsen verwies auf ein Darlehen – das erscheint vielen Soloselbstständigen nutzlos. Auch die Soforthilfe des Bundes scheidet aus, denn damit dürfen Lebenshaltungskosten wie Miete oder Lebensmittel nicht bezahlt werden. „Meine Alternative ist jetzt Hartz IV“, sagt Gamal Adouane, 32, DJ und Booker in der Distillery. „Ich bin nicht arbeitslos. Es fühlt sich absolut beschissen an, vor allem unter der Maßgabe, dass wir uns hier den Arsch aufreißen, dass es für die Kultur in Leipzig weitergeht. Da möchte ich auch, dass Support aus dem Rathaus kommt.“

Die Stadt scheint nun nachzusteuern und will einen Soforthilfezuschuss von 1.500 bis 2.000 Euro auf den Weg bringen. Genaueres ist noch nicht bekannt. „Natürlich ist das besser als nichts, damit kann man erst einmal durchatmen und sich sortieren“, sagt Manuel Schmuck, 32. Allerdings befürchtet der freiberufliche Kultur- und Medienpädagoge, dass vor September in seinem Metier nicht viel passieren wird.

Schmuck arbeitet mit Schü­le­r*in­nen, vor allem in Schulprojekten. „Ich habe jetzt angefangen, online Programmierkurse für Kinder anzubieten. Das ist ein kleines finanzielles Zubrot, aber mehr auch nicht.“ Manuel Schmuck hatte bisher gut zu tun, aber seine Rücklagen sind trotzdem gering. „Der Bildungsbereich ist nicht gut bezahlt, vor allem in Mitteldeutschland muss man für 35 oder 40 Euro Stundenlohn kämpfen. Als Selbstständiger bleibt da nicht viel übrig.“ Er ist dazu auch oft von öffentlichen Geldern und Fördertöpfen abhängig, wo die Personalkosten noch niedriger angesetzt seien. „Da habe ich gar keine Möglichkeit, über den Stundenlohn zu verhandeln.“

Robert Günschmann sieht das ähnlich. „Ich halte es gerade in der Kleinkunst für sehr unwahrscheinlich, dass jemand Rücklagen aufbauen kann, die über drei, vier Monate hinweg tragen“, sagt der 36-jährige Kabarettist. „Es ist ein altes Thema. Gerade mit dem Kabarett schmückt sich die Stadt Leipzig, aber Förderung gibt es so gut wie gar nicht. Wie in der jetzigen Lage mit den Kulturschaffenden umgegangen wird, ist enttäuschend.“ Den angekündigten Leipziger Zuschuss begrüßt er natürlich, aber: „Wenn die Krise noch zwei, drei Monate dauert, reichen 1.500 Euro Überbrückungsgeld natürlich nicht.“ Und was, wenn der Zuschuss dann alle ist? In Berlin wurde die „Rettungsbeihilfe Corona“ bis auf Weiteres ausgesetzt. In Dresden ist „das Gesamtbudget mit großer Wahrscheinlichkeit ausgeschöpft“, hieß es schon vergangene Woche seitens der Stadt.

Am meisten macht den Leipziger Künstler*innen das Gefühl zu schaffen, nicht gehört zu werden, keine Lobby zu haben. Als nicht systemrelevant zu gelten. „Künstler sind ein Immunsystem der Gesellschaft“, sagt die Malerin Sascha, 41. „Ich habe große Sorge, dass das in Sachsen und Leipzig kollektiv absäuft. Gerade Sachsen braucht doch dringend Künstler und Kulturschaffende, die unabhängig sind.“ Sascha beobachtet, wie die Krise schon jetzt die Ungleichheit verschärft. Wem die freien Aufträge wegbrechen, der wird leiden. Wer das Glück hat, begüterte Freunde, eine Erbschaft oder ein Eigenheim zu haben, hält länger durch. Wie lange genau?

Den Leipziger Künstler*innen macht vor allem das Gefühl zu schaffen, nicht gehört zu werden

„Keiner scheint zu wissen, wie die Lebensrealität von freischaffenden Künstlern aussieht“, sagt Judith van Waterkant, 35, die auf ganz verschiedenen kreativen Feldern tätig ist, vor allem als DJ. Sie hat deshalb einen offenen Brief an Bürgermeister Burkhard Jung geschrieben und in der Szene mobilisiert, aktiv zu werden.

Die Künstler*innen möchten nicht undankbar wirken. Für die Schließungen der Kulturorte – immerhin die Orte, an denen sie ihren Lebensunterhalt verdienen – haben sie Verständnis. Mehr noch: „Die meisten Kulturschaffenden haben schon vor dem Shutdown Verantwortung übernommen und Veranstaltungen abgesagt“, erinnert sich Sascha. Es ist eher die Enttäuschung, dass trotz der sich auftürmenden Sorgen kein Zeichen aus der Politik kam – nur der trockene Hinweis auf den angeblich leichteren Zugang zu Hartz IV.

„Das Hauptproblem“, sagt Gamal Adouane im Technoclub Distillery, „ist, dass die Arbeit ja nicht aufhört. Wir sagen gebuchten Künstlern ab, versuchen an Lösungen zu arbeiten, Livestreams an die Leute zu bringen. Eigentlich arbeite ich jetzt doppelt so viel wie vorher“, sagt er. Zum Glück sei der Künstlerverbund in Leipzig intakt, man helfe sich untereinander, so gut es gehe. „Das macht Mut. Ich bin guter Dinge, aber zum Kotzen ist das alles trotzdem. Leider werden wir oft nicht so gut gehört, wir haben nicht die große Lobby. Aber es fällt schnell auf, wenn wir nicht mehr da sind.“

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