Henning Venske über den Blick auf Politik: „Mauern sind zum Einreißen da“
Henning Venske ist streitbarer Kabarettist im Ruhestand. Ein Gespräch über Ausnahmezustände, die Grenzen des politischen Humors und Zuhause.
taz: Herr Venske, als 1939er-Jahrgang haben Sie vom Zweiten Weltkrieg über Kuba-Krise, 68er-Revolte, Deutschen Herbst, Tschernobyl oder 9/11 bis hin zum Bankencrash 2007 schon so manchen Ausnahmezustand mitgemacht.
Henning Venske: Oh ja.
Ist dieser Ausnahmezustand im Zuge der Coronapandemie, den wir alle grad durchmachen, da überhaupt was Besonderes für Sie?
Wissen Sie, ich lebe sehr zurückgezogen hier in Hamburg und mein Leben ist genauso eingeschränkt wie das anderer Leute auch. Für einen 81-Jährigen ist dieser Ausnahmezustand aber natürlich insofern außergewöhnlich, als ich mit den Vorbelastungen COPD, Emphysem und Asthma gerade in absoluter Isolation zu allen anderen außer meiner Frau lebe. Mir fehlt nicht nur, aus- oder ins Theater zu gehen. Ich traue mich ja nicht mal einzukaufen.
Und was macht die Krise mit den Menschen, der Gesellschaft?
Sie löst sowohl Hysterie und Selbstmitleid als auch Fantasie und Hilfsbereitschaft aus. Umso abstoßender finde ich, wie andere Katastrophen jetzt übergangen oder vergessen werden: Der Ausnahmezustand in Syrien und Afghanistan, die Ertrinkenden auf dem Mittelmeer und das Elend in den Flüchtlingslagern, die Not der Kurden oder der Obdachlosen bei uns – für viele ist das alles nicht so wichtig wie genügend Klopapier. Aber gemessen daran, was Sie vorhin aufgezählt haben, ist Corona dennoch nur ein drittklassiger Ausnahmezustand.
Warum?
81, ist in Stettin geboren und selbst Flüchtlingskind. Er brach ein Studium ab, um eine Schauspielausbildung zu machen und lebt seit 1966 in Hamburg. Er arbeitete als Journalist, Autor, Synchronsprecher, Regisseur, Schauspieler und als Kabarettist. Diverse Male ausgezeichnet wurde er, zum Beispiel 2009 mit der Biermann-Ratjen-Medaille für künstlerische und kulturelle Verdienste um Hamburg. Sein Polit-Kabarett-Tourneeleben beendete er im November 2018. Er liest statt mit nun ohne Publikum im Hamburger Brakula aus seiner Biografie „Es war mir ein Vergnügen“. Nächste Benefizlesung im Livestream: 3. Mai, 10:30 Uhr.
Lesen Sie bitte die ersten 40 Seiten meiner Autobiografie „Es war mir ein Vergnügen“. Da steht, welcher Ausnahmezustand mich geprägt hat, nämlich zunächst das letzte Jahr des Zweiten Weltkriegs, mein Fußmarsch vom Wolfgangsee in Österreich durch ein zertrümmertes Land bis nach Kiel, Sommer 1945, mehr als 1.000 Kilometer. Dass Donald Trump und Emmanuel Macron im Kampf gegen Corona nun dauernd von „Krieg“ reden, zeigt doch nur, dass beide nie einen erduldet haben und Verwandte aus Trümmern buddeln mussten.
Macht dieser Erfahrungsschatz im Umgang mit weniger dramatischen Ausnahmezuständen da gelassener, womöglich gar angstfrei?
Männer in meinem Alter haben in der Regel keine Angst mehr, zumindest nicht ums eigene Leben – deshalb sind sie ja so gefährlich für andere (lacht).
Gibt es selbst bei Ihnen also etwas wie Alterskonservatismus?
Nicht, wenn er bedeutet, zu glauben, früher sei alles besser gewesen. Dafür treffe ich in meiner Seniorenwohnanlage in Hamburg-Bramfeld zu viele Menschen meines Alters, die sehr aufgeschlossen, sehr freundlich, sehr selbstkritisch, sehr witzig sind. Da tut es mir gerade in dieser Krise leid, wenn sie einerseits den Vorurteilen junger Leute ausgesetzt sind, rückständig zu sein, andererseits nur als Wirtschaftsfaktor gelten, deren Schutz die Jüngeren gerade noch mehr Geld und Freiheit kostet. Die Lebenswelten der Generationen sind da schon sehr getrennt.
Wobei Sie durch Ihre zwei Enkelinnen auch den Blick auf Jüngere haben.
Und schon deshalb bereitet mir deren Zukunft auch angesichts des Klimawandels Sorge. Aber es gab schon früher Endzeitstimmungen. Als Helmut Schmidt noch Kanzler war, kursierte der Witz, eine Langspielplatte brauchst du nicht aufzulegen, die schafft’s eh nicht bis zum Ende …
Hat es Ihnen im Laufe Ihres Lebens als Satiriker geholfen, selbst größeren Katastrophen mit Humor zu begegnen?
Ach, so viel Humor habe ich persönlich gar nicht (lacht). Privat neige ich selten dazu, die Realität zu überzeichnen oder wegzulachen, aber beruflich sorgt diese Fähigkeit dafür, gleichzeitig Distanz und Nähe zu erzeugen. Im Schopenhauerschen Sinne sitzen Satiriker wie Fools on the hill aufm Hügel, gucken sich die Welt darunter an und geben ihren Senf dazu.
Um den Menschen auch Coronakrisen, wenn schon nicht erträglich, so doch verständlich zu machen, oder?
Mag sein, aber das entspringt nicht unbedingt dem Frohsinn des Satirikers. Grundlage des politischen Humors ist es ja, die Realität nicht auf die leichte Schulter, sondern besonders ernst zu nehmen. Sonst ist es weder witzig noch relevant.
Gibt es dabei Grenzen, die der Humor nicht übertreten sollte?
Nein, jeder Satiriker bestimmt die Grenzen seines Humors selbst, daran ändert sich auch in Ausnahmesituationen nichts. Aber wissen Sie, was das wichtigste Motiv des Kabarettisten ist?
Sagen Sie es mir!
Mitleid. Mitleid mit den Zukurzgekommenen, Unterdrückten, den Ausgebeuteten bei gleichzeitiger Abneigung gegen jene, die dafür verantwortlich sind. Die Analyse der näheren Umstände macht politischen Humor – zumindest in meinem Fall – zu harter Arbeit.
Ist der private Henning Venske demnach ein anderer als jener auf der Bühne?
Im Gegenteil: Obwohl ich gelernter Schauspieler bin, bin ich in keinem meiner Solokabarettprogramme in eine Rolle geschlüpft, habe mir nie einen Lederhandschuh angezogen und statt meiner eigenen die Gedanken die eines kriegsversehrten Sozialdemokraten geäußert. Ich wollte mich nie verstecken, ich war immer nur ein bekennender Oppositioneller.
Aber was macht es mit einem Kabarettisten links der Mitte, wenn er wie Sie sechs Jahrzehnte lang gegen ein System opponiert, in dem am Ende doch immer Konservative, das Kapital, mittlerweile ja sogar wieder Rechtsradikale den Ton angeben?
Das macht mit ihm, dass er allmählich die Lust verliert; irgendwann ist ja auch alles gesagt. Die Themen, mit denen sich Satire auseinandersetzt, sind seit Aristophanes schließlich immer dieselben. Es geht um Krieg und Frieden, Arm und Reich, Macht und Ohnmacht, Moral und Religion, Ausländer und Korruption. Das einzig neue Thema seit 2.500 Jahren ist die Atomenergie – weil sie der Menschheit die Möglichkeit gibt, sich selbst auszurotten. Alles andere wiederholt sich. Ob ich über Seehofer rede oder Herrn Seebohm …
Seebohm?
Können Sie vielleicht nicht wissen … Der war in den Fünfzigern Verkehrsminister, Heimatvertriebenenfunktionär und aus meiner Sicht ein rechtsradikales Arschloch. Den habe ich damals ähnlich gesehen wie heute Herrn Seehofer. Wenn mir also gesagt wird, wie viel Stoff die Politik dem Kabarett gerade zur Verfügung stellt, entgegne ich, dass die Politik allenfalls austauschbare Charaktermasken liefert.
Sind Sie dennoch gerne Ihr ganzes Leben gegen diese Mauern gerannt?
Mittlerweile möchte ich zwar lieber mit meiner Frau irgendwohin reisen, als irgendwo gegen zu laufen. Nach 60 Jahren im Geschäft darf ich mir vermutlich erlauben, diesbezüglich ein wenig müde zu sein. Aber Mauern sind zum Einreißen da und so lange, wie ich das durchgehalten habe, habe ich es ja vermutlich gerne getan.
Hatten Sie als Kabarettist und Mensch den Einfluss, gesellschaftliche Realitäten wirklich verändern zu können?
Punktuell, ja. Inwieweit ich dazu einen Beitrag geleistet habe, müssen andere beurteilen, aber ich fühle mich sozialen Bewegungen zugehörig, die immer wieder für positive Veränderung gesorgt haben – sei es bei der Emanzipation, die längst nicht an ihr Ende gekommen ist, aber einen Grad erreicht hat, von dem die Frauen in meiner Jugend nicht mal zu träumen gewagt hätten; sei es im Schulwesen, das zu meiner Zeit noch von Lehrern aus der wilhelminischen Zeit geprägt war. Kinder werden heute mit größerem Respekt behandelt als Anfang der Sechziger. Es ist ein gutes Gefühl, an dieser Entwicklung einen Anteil gehabt zu haben.
Waren Sie als Vater in den Sechzigern denn noch wilhelminisch geprägt oder bereits antiautoritär?
Ich war mit großer Begeisterung antiautoritär – inklusive aller Fehler, die da gemacht werden konnten.
Bei all den politischen und sozialen Katastrophen Ihrer langen Karriere war eine der größten privater Natur, als Anfang des neuen Jahrhunderts Ihre Zwillingskinder im Abstand weniger Jahre mit Mitte 40 gestorben sind. Wie sind Sie damit umgegangen?
Damit kann man nicht umgehen, Trauer lässt sich nicht manipulieren. Ich reagierte mit einer Art Eskapismus und flüchtete mich in die Arbeit oder besser: versuchte es. Wenn das gesamte Leben plötzlich aus Trauer besteht, ist es eine Illusion anzunehmen, für solche Schicksalsschläge gäbe es Instrumente, die man einfach zur Anwendung bringen könnte.
Konnten Sie sich keine aus ihrer künstlerischen Arbeit zunutze machen, die den Irrsinn der Realität ja auch irgendwie leichter erträglich machen?
Hui (überlegt lange). Ich glaube nicht. Wenn bei einem Erdbeben Tausende ums Leben kommen, ist das entsetzlich, aber das Mitgefühl, das man bei einer dieser relativ regelmäßig stattfindenden Katastrophen empfindet, ist etwas ganz anderes als die Trauer beim Tod des eigenen Kindes. Das kann man nicht vergleichen. Und in der Realität von Corona sieht es noch anders aus: Hunderttausende Tote machen Angst, aber Mitleid wird vor allem gefordert und praktiziert für die sogenannte Wirtschaft.
Ist man mit Anfang 80 und der Gewissheit, nicht mehr ewig zu leben, manchmal sogar froh, das ganze Elend bald hinter sich zu haben?
(lacht) Das frage ich mich auch oft, wenn ich von meinem Hügel aus ins Tal blicke. Am Ende bin ich froh, nicht noch mal die Pubertät durchmachen zu müssen und alle anderen Probleme junger Menschen. Aber wenn man mir anböte, nochmals 50 Jahre jünger zu sein, würde ich schon deshalb nicht nein sagen, um mal wieder schmerzfrei spazieren gehen zu können. Mit dem Elend der Welt dagegen beschäftige ich mich eigentlich nur dann noch intensiver, wenn mich die taz zum Gespräch darüber bittet. Ich gönne mir mittlerweile ein bisschen Gleichgültigkeit und bleibe zu Hause.
Wie lange ist dieses Zuhause eigentlich schon Hamburg?
Seit 1966. Ich war zwar zwischendurch acht Jahre in München, hatte aber immer mein Haus hier.
Macht es die Stadt da zu so etwas wie Heimat für Sie?
Ich habe ein etwas gestörtes Verhältnis zum Begriff Heimat, ich nenne es lieber: zu Hause. Den Kellner bei meinem Stamm-Italiener in Hamburg habe ich jahrelang auch für einen Italiener gehalten, bis er mir beim Schnacken mal sagte, er sei Pole und stamme aus Stettin, wo ich geboren wurde. Obwohl ich den kleinsten Teil meines Lebens dort verbracht habe, war auch das plötzlich ein Stück zu Hause. Dasselbe Gefühl verbindet mich mit Minden in Westfalen, wo ich acht Jahre zur Schule gegangen bin, und wo ich noch immer viele Menschen kenne, und auch München ist ein klein bisschen zu Hause. Ich habe das Glück, mich vielerorts zu Hause zu fühlen.
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