Pflege lernen im Chat

Erstmals ist die neue, generalistische Pflegeausbildung gestartet – mitten in der Coronakrise. Die Schulen mussten auf E-Learning umstellen, Praxiseinsätze sind ungewiss

Präsenz ist nicht alles bei einer zeitgemäßen Pflegeausbildung Foto: Heinrich Klose (1910) CC

VonSimone Schnase

Als wäre sie für alle Beteiligten nicht schon abenteuerlich genug, die generalistische Pflegeausbildung: Zum ersten Mal überhaupt lernen angehende Kranken-, Kinderkranken- und AltenpflegerInnen seit Jahresbeginn gemeinsam, entsprechend neu ist sowohl ihre praktische als auch die theoretische Ausbildung. Und nun, zum Ausbildungsbeginn am ersten April, ist auch noch die Coronakrise dazwischengekommen.

„Das ist schon sehr surreal“, sagt Barbara Venhaus-Schreiber, Schulleiterin des Bremer Zentrums für Pflegebildung der freigemeinnützigen Träger (BZP), das mit den Krankenhäusern Diako RKK und St.-Joseph-Stift sowie den Altenhilfe-Trägern Caritas, Diakonie und Bremische Schwesternschaft vom Roten Kreuz zusammenarbeitet. Denn die 27 neuen PflegeschülerInnen hatten bisher noch keine Möglichkeit, sich untereinander auch nur kennen zu lernen – seit Beginn der Ausbildung lernen sie online.

„Sie kommunizieren per Telefon und Chat“, sagt Venhaus-Schreiber. „Und die Idee, in die Praxis zu gehen, ist momentan auch zurückgestellt – da sind auch die Einrichtungen sehr vorsichtig.“

Wenigstens kurz gesehen haben sich die PlegeschülerInnen der Bremer Heimstiftung zu Beginn ihrer Ausbildung: In Kleinstgruppen von maximal vier Personen mit mindestens zwei Metern Abstand voneinander haben sie im Seminarraum der Schule im Stiftungsdorf Blumenkamp Lernpakete und Fachliteratur in Empfang genommen und eine Einführung in den Stundenplan erhalten. Der musste in kürzester Zeit so umgearbeitet werden, dass nun per E-Learning-Plattform gelernt werden kann.

„Das klappt allerdings erstaunlich gut“, sagt Agnes-Dorothee Greiner, Leiterin des Bildungszentrums der Heimstiftung. Auch die Vernetzung und Zusammenarbeit unter den Bremer Pflegeschulen funktioniere sehr gut. Einig ist sie sich mit ihrer Kollegin vom BPZ dennoch in dem Wunsch, dass künftig zumindest ein bisschen Präsenzunterricht erlaubt wäre: „Ich stelle mir da eine Blended-Learning-Variante vor, wo einmal in der Woche kleinste Gruppe zusammenkämen und der Rest per E-Learning und Telefon stattfindet.“ Venhaus-Schreiber wäre schon zufrieden damit, wenn sich regelmäßig nur einE SchülerIn mit einer Lehrkraft treffen dürfte.

„Präsenz wäre gut, um ein paar praktische Übungen machen zu können“, sagt Greiner, „aber auch, um die emotionalen Aspekte der Ausbildung zu behandeln.“ Beide rechnen aber damit, dass zumindest vorläufig keine Lockerungen in Sicht sind, „und dann kommen wir auch so zurecht – das Wichtigste ist ganz klar der Gesundheitsschutz“, sagt Greiner.

Sie gewinnt der Ausnahmesituation durchaus etwas Positives ab: „Seit Jahren versuche ich, E-Learning zu etablieren und bin damit immer gescheitert – jetzt ist die Chance da.“ Die Schü­lerInnen seien mit den neuen Medien ohnehin vertraut, fänden sich gut ein in ihren ungewöhnlichen Ausbildungsstart und seien hochmotiviert bei der Sache. „Ihnen ist klar, dass sie einen sehr, sehr wichtigen Job machen“, sagt Greiner.

„Corona fällt in eine Phase, in der Pflege ohnehin endlich zum Thema wurde“

Agnes-Dorothee Greiner, Leiterin des Bildungszentrums der Bremer Heimstiftung

Die Heimstiftung plant für die neuen Auszubildenden einen zehnwöchigen Praxiseinsatz ab der zweiten Juniwoche: „Bei uns hat es zumindest bislang noch keine Coronafälle gegeben, also machen wir da auch noch keine Abstriche“, sagt Greiner. Von einzelnen Krankenhäusern habe sie gehört, dass diese momentan keine SchülerInnen aufnehmen wollten, „aber für unsere neuen geht es ohnehin erst im November ins Krankenhaus.“

Letztendlich könne im Moment immer nur für kurze Zeit im Voraus geplant werden.

Sie sei durchaus ein bisschen stolz auf sich und die KollegInnen, „dass wir das alles so hinbekommen haben“, sagt Greiner und gewinnt der Krise auch in einem anderen Punkt etwas Positives ab: „Corona fällt in eine Phase, in der Pflege ohnehin endlich zum Thema wurde, das zeigt sich an der generalistischen Ausbildung und an den Debatten über die Finanzierung der Pflege und den Personalmangel.“ All das bekomme jetzt eine Dynamik, die vor allem das Thema Personalbemessung beschleunige: „Schließlich reicht schon eine Ausnahmesituation durch einen weniger gefährlichen Virus als Corona aus, um uns personell vor ernsthafte Probleme zu stellen.“