Kiew fürchtet Cäsium

Feuer in der Sperrzone des havarierten Atomkraftwerks Tschernobylsetzt radioaktives Material frei. Brand ist weiter nicht unter Kontrolle

Von Bernhard Clasen

Mehr als eine Woche nach dem Beginn des Waldbrands in der Sperrzone von Tschernobyl ist die Feuerwehr weiterhin machtlos. Die Flammen sind inzwischen auf wenige Kilometer an das Atommülllager „Vektor“ und das linke Ufer des Pripjat herangerückt, ein starker Wind treibe das Feuer Richtung der Stadt Pripjat, teilte Natalia Degtyarenko vom ukrainischen Atomkonzern Energoatom auf ihrer Facebook-Seite mit. „Die Tschernobyl-Zone war nicht vorbereitet auf einen großen Brand. Einige Brandherde befinden sich an Stellen, an die man nicht leicht heranfahren kann“, erklärte Katerina Pawlowa, Leiterin der Staatlichen Verwaltungsagentur der Sperrzone, am Samstag gegenüber der Presse.

Am Freitag hatte das Staatliche wissenschaftlich-technische Zentrum für Strahlensicherheit angekündigt, dass mit dem Rauch aus Tschernobyl auch Cäsium-137 nach Kiew gelange. Die erwartete Menge liege jedoch um das Hundertfache unter dem Grenzwert, so der ukrainische Fernsehsender TSN. Seit über einer Woche trauen sich die Bewohner von Kiew aus Angst vor dem über der Stadt hängenden Rauch aus Tschernobyl kaum noch, ihre Fenster zu öffnen.

Besonders gefährdet durch die Brände seien an den Löscharbeiten Beteiligte, sagte der stellvertretende Direktor der Umweltorganisation Ökodia, Oleki Pasyuk, der taz. „Mit dem Feuer gelangen auch Cäsium und Strontium, das sich in den Pflanzen und an der Bodenoberfläche angesammelt hat, in die Atmosphäre. Und wenn Bruchteile davon in die Lunge oder das Blut eines Menschen geraten, bereiten sie dem Betroffenen auf Jahre gesundheitliche Probleme.“

Nach Auffassung von Katerina Pawlowa sind mehrere Faktoren schuld an dem Feuer, einer davon sei der Klimawandel. „Wir haben doch alle erlebt, was für einen Winter wir jetzt hatten. Und dann entzündet sich trockenes Gras natürlich besonders schnell.“ Gleichzeitig seien auch viele beschlossene Feuerschutzmaßnahmen nicht in die Tat umgesetzt worden. Weitere mögliche Ursachen, so die Verwaltung der Tschernobyl-Zone, seien Kurzschlüsse in dem stark verkabelten Gebiet um den Unglücksreaktor und Brandstiftung.