Erik Peter über Demonstrationen von Verschwörungstheoretikern in Coronazeiten: Das Grundgesetz ist für alle da
Ein Karton mit Grundgesetzen steht auf dem Rosa-Luxemburg-Platz. Rings um das Räuberrad laufen Menschen umher. Viele tragen Mundschutz, einige halten ihre Ausgabe mit den Grundrechten in die Höhe, andere versuchen, die Bücher an Passanten zu verteilen. Zwischen ihnen sind Polizisten in voller Montur unterwegs und sorgen dafür, dass sich keine Gruppen zusammenfinden. Ein Beamter trägt den Karton weg und bringt ihn kurz darauf zurück. Demonstranten schimpfen lautstark.
Es sind absurde Szenen, die sich am vergangenen Samstag vor der Volksbühne abspielten. Ein Verein mit dem hochtrabenden Namen Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand hatte zu seiner ersten öffentlichen Aktion gerufen: eine „Hygienedemo“ mit Atemschutzmasken und Mindestabstand für die „Beendigung des Notstands-Regimes“.
17 Ermittlungsverfahren
Verschwörungstheoretiker. Die Polizei hatte kein Erbarmen, auch wenn sie damit die Fantasien der Veranstalter beflügelte. Sie setzte die Corona-Eindämmungsverordnung durch, sprach Platzverweise aus und leitete 17 Ermittlungsverfahren „u. a. wegen Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ ein.
In einem Video von der Aktion erzählt Organisator Anselm Lenz, der zuletzt auch als freier Autor der taz Berlin tätig war, von einem „umstrittenen Virus, zu dem es mindestens zwei Meinungen gibt“. Diese Position hatte er zuvor in einem Beitrag für den Blog Rubikon ausgebreitet, eine Seite, auf der schon die Existenz von Aids geleugnet und das Coronavirus als Folge der Schweinemast dargestellt wurde.
Lenz sucht in dem Text nach Ursachen für das Virus, kann sich aber nicht entscheiden: „Panikattacken überalterter Eliten“, der Versuch, einen „Kapitalismuscrash“ zu überlagern, oder eine „Aktion zum Klimaschutz“? Alle scheint möglich. Wieso außer den aufgeklärten „Oppositionellen“ seines Vereins davon noch niemand weiß: die öffentliche Diskussion sei „abgeschafft“, die ehemals freie Presse „gleichgeschaltet“.
Und ein Erdoğan-Fan
Lenz und einige Mitstreiter arbeiteten einst am Haus Bartleby, einem künstlerischen Projekt, das sich gegen den Karrierefetisch im Kapitalismus engagierte und dessen Verbrechen in einem Kapitalismustribunal sowohl auf der Bühne als auch in einem Buch anprangerte. Anders als früher kommt ihr Applaus aber nun nicht mehr von der politischen Linken, sondern ausschließlich von rechter und verschwörungstheoretischer Seite.
So hatte etwa Ken Jebsen, der Star der Szene, zu der Aktion am Samstag aufgerufen, ebenso andere Kanäle der extrem Rechten und Wirren. Auch Erdoğan-Fanboy Martin Lejeune nahm als Journalist getarnt an der Aktion teil, um sich danach über die Polizeirepression zu echauffieren. Allzu sehr eingeschüchtert ist die Szene aber nicht. Ab jetzt sollen tägliche Mahnwachen folgen und kommenden Samstag der nächste größere Spuk.
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