: Belichten ist wie Kuchen backen
Detailtiefe und mit geschultem Auge komponierte Linien: Die Ausstellung „Linda McCartney“ bei C/O Berlin zeigt verschiedene Fotoserien der Künstlerin, Buchautorin – und Ehefrau Paul McCartneys
Von Tom Mustroph
Erst Ehefrau oder doch Fotografin von eigenem Rang? So ganz scheinen die Kurator*innen von C/O Berlin dem Können von Linda McCartney, geborene Eastman, nicht zu trauen. Das erste Bild der Ausstellung, groß gezogen auf die Wand, zeigt einen jungen Mann mit schwarzem Mantel, weißem Schal und klotzigen Moonboots vor einem noch klotziger wirkenden roten Sportwagen. Es ist Paul McCartney, damals noch Beatles-Mitglied, und einige Jahre schon Ehemann von Linda. Die Pop-Gemeinde wird also hineingesaugt in die Ausstellung. Und tatsächlich erwartet die Jüngerinnen und Jünger der Fab Four so mancher Schnappschuss aus dem Privatleben der Familie McCartney sowie dem Tour- und Backstage-Alltag der Band.
Linda McCartney arbeitete bevorzugt mit einer Polaroid-Kamera. Das gibt vielen Aufnahmen etwas Spontanes, Privates, zuweilen Intimes. Man sieht Paul mit Stieleis in der Hand, später beim Kartenspiel. Auf einem anderen Bild hält er eines der Kinder auf dem Schoß. Die Kinder wiederum sind beim Reiten zu sehen.
Überhaupt spielt das Landleben eine große Rolle. Immer wieder Blicke in eine weite Landschaft. Hunde, Katzen, Kühe und Pferde werden porträtiert.
In der Ausstellung gibt es drei Präsentationsformen der Polaroids. Mal werden die kleinformatigen Prints in Augenhöhe an der Wand angebracht. So drohen sie allerdings zu verschwinden. Geeigneter ist das Arrangement als Fotobuch. McCartney selbst klebte viele Polaroids in Alben ein. Daraus entstehen Szenen und ganze Serien. Einige dieser Alben sind digitalisiert.
Einzelne Aufnahmen sind zu großformatigen Prints hochgezogen. Sie überraschen mit ihrer Detailtiefe und dem geschulten Auge der Fotografin. Man erkennt, wie sie Linien und Kanten komponiert, wie sie im Moment des Auslösens schon die Bewegung des porträtierten Objekts oder Subjekts antizipiert.
Interessanter, und künstlerisch auch eigenständiger als die Familienbilder sind die unter dem Titel „Roadworks“ zusammengefassten Reiseaufnahmen. Linda McCartney schoss sie auf den vielen gemeinsamen Reisen zu Konzerten auf allen Kontinenten. Sie machte sie meist aus dem Schutzraum Auto heraus. Oft erkennt man die Fensterbegrenzungen. Sie kreiert Bilder in Bewegung, die ferne Zeiten für einen Moment still stehen lassen und in die Gegenwart holen. „Out Here“, 1975 in Kalifornien geschossen, zeigt im milchigen Sonnenlicht einen Pick-up, auf dessen Ladefläche ein langhaariger, bärtiger Mann sitzt. Neben ihm, zu drei Viertel von der Seitenwand des Pick-up verdeckt, steht ein schweres Motorrad. Man fühlt sich prompt zurückversetzt in die Zeit des „Born to Be Wild“.
Regelrecht musikalisch ist „Sunday Best“, ebenfalls 1975 aufgenommen auf den Westindischen Inseln. Im gelben Sonnenlicht, das Reflexe auf der Scheibe des Autofensters tanzen lässt, schreitet beschwingt ein Mann in seinem schwarzen Sonntagsanzug vorbei; allein schon beim Zuschauen ist man versucht, den Rhythmus seines Gehens aufzunehmen.
„Roadworks“ sind Miniaturen der Bewegung, Kompositionen aus Licht, Linien und Farben. Gern hätte man mehr davon gesehen.
Und gern auch mehr von den Cyanotypien, mit denen sie in den 1980er Jahren experimentierte. Das ist eine auf das Jahr 1842 zurückgehende monochrome Belichtungstechnologie. McCartney begeisterte daran die Druckqualität und das vergleichsweise unaufwändige Verfahren. „Die Abzüge waren gestochen scharf, eine Qualität, die ich sofort auch bei meinen eigenen Fotografien erreichen wollte. Das Vermischen von Mineralien und Salzen für die Cyanotypien als Ausbelichtung im Sonnenlicht ist ein bisschen wie Kuchen backen. Unterschiedliche Zutaten und Mengenverhältnisse in der Mischung ebenso wie der Einsatz verschiedener Papiersorten führen zu unterschiedlichen Ergebnissen“, wird sie in der Ausstellung zitiert. Sie belichtete die Papiere im Badezimmer. Dunkelkammer und andere Gerätschaften waren nicht notwendig. Und auf den leider nur zwei Prints in der Ausstellung sind noch die Spuren ihrer Finger zu erkennen, mit denen sie die Masse auftrug. Fingermalerei und fotografische Reproduktion gingen hier eine interessante Synthese ein. Die Arbeiten wurden seinerzeit unter dem Titel „Sun Prints“ veröffentlicht.
Die bei C/O Berlin gezeigten Werkgruppen der Fotografin hätten gar nicht mit dem schrillen Porträt des berühmteren Ehemannes eingeleitet werden müssen. Ein paar mehr von den ikonischen Künstlerporträts McCartneys, unter anderem von Jimi Hendrix, Janis Joplin, Eric Clapton und den Rolling Stones, hätten allerdings nicht geschadet. Immerhin ein schöner Einblick in das Werk der bereits 1998 an Krebs verstorbenen Künstlerin.
Einige der Fotos sind auf dem Instagram-Kanal von C/O Berlin zu sehen. Bei Taschen ist „The Polaroid Diaries“ erschienen
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