Wo sind all die Schüler hin?

Für viele Schulen kamen die Schließungen unvermittelt. Eine Realschullehrerin vom Bodensee, ein Berliner Ethiklehrer und die Geschäftsführerin eines hessischen Internats erzählen von den letzten Tagen

Von wegen Coronaferien: Diese beiden Augsburger Gym­nasasti­:in­nen lernen nun zu Hause Foto: Daniel Biskup

Protokolle von Ralf Pauli
, Luisa Kuhn
und Georg Sturm

„E-Learning ist höchst problematisch“

Als ich am Freitagfrüh von den Schulschließungen in Berlin erfahren habe, war die Stimmung im Lehrerzimmer erst entspannt, fast sogar ein heiter. Als dann später am Tag die E-Mail von der Senatsverwaltung reinkam, ist die Stimmung langsam gekippt. Wir sollten weiter zur Dienststelle erscheinen, hieß es darin – das hat für den ersten Aufschrei unter den Lehrer*innen geführt. Viele hier haben Angst um ihre eigene Sicherheit, auch wenn das Risiko, sich mit Corona zu infizieren, in einer Schule ohne Schüler*innen natürlich gar nicht so hoch ist, aber gut ...

Der zweite Aufschrei erfolgte dann am Wochenende, als die Schulleiterin uns per Dienstanweisung dazu verpflichten wollte, den Unterricht bis zum 17. April auf E-Learning umzustellen. Offenbar gab es einen internen Shitstorm, jedenfalls war die Anweisung am Montag nur mehr eine Empfehlung.

Ich sehe das E-Learning als höchst problematisch an. Ich bezweifle ja jetzt schon, dass Schule in der heutigen, autoritären Form noch viel mit dem humanistischen Bildungsideal zu tun hat. Mit der unhinterfragten Umstellung auf das „E-Lehrerzimmer“ wird die Schule aber auch noch zum Ausführungsorgan der kapitalistischen Verhältnisse. Viele Lernplattformen gehören Unternehmen wie Google oder sammeln zumindest viele Daten über hunderte Schüler*innen und dutzende Lehrer*innen. Darüber wird aber überhaupt nicht gesprochen. Die Krise diktiert uns eine schnelle Entscheidung. Ich finde aber, dass wir als Schule über diese Frage erst mal gründlich reflektieren müssen, bevor man jetzt schnell, schnell alles auf digitalen Unterricht umstellt.

Dementsprechend mache ich selbst auch keinen „digitalen“ Unterricht. Am Montag waren meine Schüler*innen ja noch an der Schule, da habe ich ihnen ziemlich umfangreiche Arbeitsmaterialien mitgegeben. In meiner achten Klasse zum Beispiel sollen sie in den nächsten Wochen eine fächerübergreifende Projektarbeit über tibetischen Buddhismus vorbereiten, also sowohl über ethische Fragen der buddhistischen Religion nachdenken als auch über politische – die Außenpolitik Chinas –, geschichtliche – die Feudalstruktur in Tibet vor 1950 – und geografische: Tibet als Dach der Welt. Alle Aspekte sollen sie selbst zusammenfassen. Mir ist die Eigenverantwortlichkeit wichtig. Wenn die Schüler*innen unsicher sind, können sie mir jederzeit eine Mail schreiben. Ansonsten können und sollen sie sich die Arbeit frei einteilen. Das kommt dem humanis­tischen Bildungsideal aus meiner Sicht viel näher als die ständige Kontrolle über digitale Kanäle.

Ich wünsche meinen Schüler*innen, dass sie die Coronaferien dazu nutzen, auch über solchen Themen – digitales Verhalten, eigene Verantwortung – nachzudenken. Wenn sich Schulen jetzt wirklich voll ins E-Learning stürzen, dann haben wir alle die Chance verpasst, in einem Moment der Unterbrechung über die nötigen Reformen an den Schulen zu sprechen.

Pepe Baum, 29, ist Ethik- und Politiklehrer an einer Berliner Gemeinschaftsschule

„Es war kein Jubelschrei zu hören“

Nachdem andere Bundesländer bereits flächendeckende Schulschließungen angekündigt hatten, überraschte es mich nicht, dass in Hessen die gleiche Entscheidung getroffen wurde. Das Internat war zu diesem Zeitpunkt schon zu.

Anfang der Woche hatte damit noch niemand gerechnet. Doch die Ereignisse sind im Laufe der Woche wie eine Welle über uns hereingebrochen: Nachdem am Donnerstag die Mitteilung öffentlich wurde, dass alle Abiturienten vom Unterricht befreit sein würden, haben wir am Freitagmorgen entschieden, nicht nur den Abschlussjahrgang, sondern alle Schüler nach Hause zu schicken. Sie sind dann am Freitag wie geplant in das „Heimfahrtwochenende“ gefahren. Jedes dritte Wochenende verbringen unsere Schüler bei ihren Eltern zu Hause. Das Besondere bei diesem Mal: Sie kamen nicht am Sonntagabend zurück, sondern sind bis zu den Osterferien vom Schulbesuch freigestellt.

Als wir das auf einer Schulvollversammlung am Freitag verkündet haben, war kein einziger Jubelschrei zu hören. Die Schüler verfolgen die Entwicklungen schließlich intensiv und verstehen Sinn und Zweck dieser Maßnahme. Auch meine beiden Kinder, im Alter von 11 und 14 Jahren, sind traurig, dass sie ihre Freunde vorerst nicht sehen, und freuen sich darauf, wenn der Schulalltag wieder einkehrt.

Das Abitur soll trotz allem wie geplant ab Donnerstag stattfinden. Die Schüler dürfen am Vortag der Prüfung anreisen, die Nacht im Internat verbringen und nach dem Test wieder abreisen. Wenn am Folgetag schon gleich die nächste Prüfung ansteht, bleiben die Abiturienten natürlich vor Ort. Unsere Schüler kommen aus ganz Hessen und zum Teil auch aus anderen Bundesländern. Da wäre es nicht allen möglich, erst am Morgen der Prüfung anzureisen. Die Abiturienten sind auf den Punkt vorbereitet und wollen verständlicherweise die Prüfungen jetzt ablegen.

In den nächsten Wochen werden wir versuchen, die restlichen Schüler digital zu unterrichten. Auf einer Lehrerdienstversammlung haben wir am Montag über mögliche Methoden gesprochen. Wir arbeiten ohnehin gerade an neuen Medienbildungskonzepten, die Schulschließung nimmt das nun nur vorweg. Einige Kollegen stehen schon in den Startlöchern oder setzen diese Konzepte zum Teil bereits um. In Hessen gibt es das Schulportal, wir haben „WebUntis“ zur Kommunikation. Man kann einiges tun – es ist allerdings noch sehr ungewohnt.

Ich bin keine Pädagogin, aber eins ist mir klar: Ich gehe nicht davon aus, dass meine Kinder in den nächsten Wochen in der gleichen Tiefe und Intensität Unterricht erleben werden, wie das in der Schule der Fall wäre. Sie werden aber lernen, mit anderen Unterrichtsformaten und einer ungewohnten Situation umzugehen. Für mich persönlich ändert sich nicht so viel: Ich arbeite ganz normal im Büro – und werde abends überprüfen, ob meine Kinder tagsüber gelernt haben oder nicht.

Viktoria von Zitzewitz-Schänzer, 52, ist seit 2003 Geschäfts­führerin der Internatsschule Schloss Hansenberg in Geisenheim, Hessen.

„Fatal, die Schulen erst am Dienstag zu schließen“

Ich unterrichte die Abschlussklasse einer Werkrealschule. Die Abschlussprüfungen beginnen bei uns direkt nach den Osterferien. Eigentlich habe ich seit Donnerstag damit gerechnet, dass es bald zu Schulschließungen in Baden-Württemberg kommen wird, da ich die Nachrichten mitverfolgt habe. Als ich meinen Schülern dann am Donnerstag empfohlen habe, alle Materialien mit nach Hause zu nehmen, wurde ich noch belächelt.

Am Freitag habe ich auf der Pressekonferenz von Ministerpräsident Winfried Kretschmann mitbekommen, dass die Schulen in Baden-Württemberg erst am Dienstag schließen und war entsetzt – Bayern, Schweiz und Frankreich: alle angrenzenden Länder hatten ihre Schulen bereits geschlossen, während wir vom Kultusministerium die Anweisung erhalten, am Montag noch einmal Unterricht stattfinden zu lassen. Das Wochenende über herrschte unter den Lehrern Ungewissheit. Am Samstag habe ich zufällig meine Ärztin getroffen, auch sie meinte, dass es fatal sei, die Schulen erst am Dienstag zu schließen. So könne man die Infektionsketten ja nicht unterbrechen.

Wir sind am Montag dann auf Anweisung des Ministeriums alle in die Schule gekommen, was aus meiner Sicht bei dem derzeitigen Infektionsgeschehen verantwortungslos war. Das hat jedoch jede Schule anders geregelt: Bei manchen endete der Unterricht schon nach der ersten Stunde, bei anderen erst um zwölf Uhr. Jede Schule musste selbst schauen, wie sie mit der Situation umgeht, da es davor ja keine Absprachen gab.

Zusätzlich mussten wir im Hauruckverfahren einen Notfallplan für die Betreuungsgruppen erstellen. Da wir mit den Schülern aber keinen Unterricht nachholen dürfen, müssen wir uns jetzt auf die Schnelle Freizeitbeschäftigungen für die Kinder überlegen. Bis auf den Betreuungsdienst sind wir jetzt alle im Homeoffice. Das ist aber nichts wirklich Neues, wir erledigen ja sowieso die Hälfte unserer Arbeit zu Hause, auch wenn die meisten das nicht sehen.

Die einzige Möglichkeit, nun mit meinen Schülern zu kommunizieren, ist per E-Mail. Ich informiere sie, wann sie welche Aufgaben machen sollen, und sie schicken mir die Aufgaben zur Korrektur zurück. Zum Glück haben alle einen Internetanschluss – das ist ja auch nicht selbstverständlich. Meine Schülerinnen und Schüler sind entspannt. Um sie mache ich mir keine Sorgen. Sie wissen, wie sie sich auf die Prüfungen vorbereiten können, und sie können mithilfe von Übungsheften, Lernvideos und Lernplattformen wiederholen und üben. Und wir Lehrerinnen und Lehrer müssen jetzt einfach abwarten, wie es weitergeht.

Susanne Braun, 35, arbeitet an der Tegginger Grund- und Werkrealschule in Radolfzell am Bodensee, Baden-Württemberg.