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Wasser auf ihrer Haut

Es wird trockener in Deutschland. Wie trocken und wo und wann genau, das erforscht Dr. Andreas Marx am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung zu Leipzig. Ein Besuch bei ihm – und bei den Flughunden im Zoo

Dr. Marx: „Es musste Deutschland quasi nachgebaut werden – und darauf kommt dann der Regen“ Grafiken: Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung

Aus Leipzig Helmut Höge

Auf dem Weg zur Arbeit hat Marx einen Spaten dabei und prüft damit die Feuchtigkeit des Oberbodens

An der Wand der tazzwei-Redaktion hängt ein altes SDS-Plakat „Alle reden vom Wetter. Wir nicht“. Trotzdem schickte mich das Ressort zu den „Trockenforschern“ nach Leipzig zum „Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung“. Da ich gerade Material über Flughunde sammelte, von denen einige in der Tropenhalle des Leipziger Zoos leben, die im Gegensatz zu den Flughunden in der Tropenhalle des Berliner Tierparks auch tagsüber wach und unternehmungslustig sind, willigte ich gerne ein. Vormittags war ich dann mit dem Koordinator des „Mitteldeutschen Klimabüros“, Andreas Marx, verabredet, der den „Dürremonitor Deutschland“ veröffentlicht. Und nachmittags erschien ich unangemeldet bei den Flughunden im Zoo, die mich auch nicht enttäuschten.

Das Zentrum für Umweltforschung (ufz) hat mit Dependancen in Halle und Magdeburg 1.500 Mitarbeiter. In seinen „Dürreatlas“ fließen täglich die Wetterdaten vom Deutschen Wetterdienst ein, und zwar von bestimmten Messstationen. Dazu noch Daten von der Europäischen Umweltagentur, der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, des Bundesamts für Kartographie und Geodäsie, der Bundesanstalt für Gewässerkunde, des European Water Archive, des Archivs Global Runoff Data Centre und der Nasa.

Die Daten kommen auf dem Leipziger „Helmholtz-Campus“ im Keller des Bürogebäudes, in dem Andreas Marx sitzt, in einem riesigen Rechner, einem „Linux-Cluster“, zusammen – und werden dahingehend ausgewertet und grafisch übersetzt, dass sie verschiedene Landkarten ergeben, auf denen im Hinblick etwa auf „Dürre“, „Bodenfeuchtigkeit“ und „Entwicklung in den letzten 14 Tagen“ farblich-graduell die Verteilung der Problemzonen unseres vaterländischen Mutterbodens ablesbar ist.

Mit den Worten von Dr. Marx: „Es musste Deutschland quasi nachgebaut werden – und darauf kommt dann der Regen. Wir können die Wasserhaushalte von ganz Deutschland flächendeckend abbilden – seit 10 Jahren, die Entwicklung dauerte fünf Jahre. Das ist das Modell hinter dem ‚Dürremonitor‘.“

Diesen „Visual turn“ kann jeder zu Hause am Rechner anklicken, er muss dazu nicht mehr seine Freunde in verschiedenen Bundesländern anrufen und sie fragen: „Wie ist denn bei euch das Wetter?“ Auch muss er nicht den alarmistischen „Dürre-War­nungen der Medien“ glauben, die der Wetter-Experte Jörg Kachelmann 2019 zu 91 Prozent für „falsch oder erfunden“ hielt.

Ungeachtet aller sächsischen Klimawandelleugner sitzt also ein Gutteil der hiesigen „Climate Change“-Forscher (das heißt der „Helmholtz-Klimainitiative“) ausgerechnet in Leipzig. Dr. Marx zeigte mir am Bildschirm ein Foto von zwei im Sommer 2019 verdursteten Weidenbäume im Garten seines Hauses, bei einer dritten Weide war er sich noch nicht sicher, ob sie die Trockenheit überstanden hat, es würde bereits ein Pilz an ihrem Stamm wachsen.

Seine Doktorarbeit schrieb Andreas Marx, nebenbei bemerkt, über ein „Hochwasser-Vor­her­sage­system“. Wenig später kam 2005 das „Jahrhunderthochwasser – „und mein System hat funktioniert“. Am „Dürremonitor“ arbeitet er seit 2014.

In einem Vortrag über seine Grafiken, den er kürzlich hielt, unterschied er vier Arten von Dürre: die meteorologische, agrarische, hydrologische und die sozioökonomische Dürre. Mit Letzterem meint er, glaube ich, dass eine „Anpassung an Dürren“ für Industrie, Schifffahrt, Tourismus, Wasser- und Energierversorgung immer dringender wird. Als Koordinator des Dürremonitors gab er mir eine schnelle Einführung in Bodenkunde. Morgens auf dem Weg zur Arbeit in sein Forschungsinstitut hat er gelegentlich einen Spaten dabei und prüft damit die Feuchtigkeit des Oberbodens (bis 25 Zentimeter): wie tief sie reicht.

Auf seinen Karten ist der Osten rot! Das heißt der überwiegende Teil des DDR-Territoriums ist flächendeckend ausgetrocknet. Vor allem die „märkische Streusandbüchse“: Sandige leichte Böden nehmen zwar schnell Wasser auf, können es aber nicht halten, vor allem, wenn es immer weniger regnet. Im Gegensatz dazu macht schweren tonhaltigen Böden die Trockenheit weniger aus, dafür nehmen sie aber auch schwerer Wasser auf und brauchen länger, um sich nach einer Dürreperiode wieder vollzusaugen. In einem Artikel in spektrum.de heißt es, sich auf eine Deutschlandkarte der Leipziger Trockenforscher berufend: „Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Thüringen und Bayern fehlt es an Nässe.“ Dr. Marx weiß jedoch: „Die Leipziger Tieflandbucht hat gute Böden, mit einem hohen Tongehalt, der das Wasser hält, deswegen kann eine geringe Jahresmenge Regen, von 500 Millimetern, für die Landwirtschaft hier reichen – im Gegensatz zu den Brandenburger Sandböden.“

Das liegt natürlich nicht nur an den Böden, sondern auch an den regional unterschiedlichen Regenmengen, die in den Dürrejahren 2018 und 19 fielen. Hinzu kommt noch: Wenn es länger heiß ist, verdunstet der Regen schnell wieder, vor allem auf schweren Böden. Dr. Marx: „Westdeutschland ist atlantisch geprägt und Ostdeutschland kontinental.“ Daran kann auch die sogenannte Wiedervereinigung nichts ändern.

In der Landwirtschaft kompensiert man Trockenheit mit Brunnen und Bewässerungsanlagen, aber da in einigen Ländern dadurch der Grundwasserspiegel immer weiter sinkt, müssen die Brunnen immer tiefer gebaut werden, was sich nur Großbauern leisten können. In einigen Gebieten Australiens kommt das Wasser für die Landwirtschaft aus 600 Meter Tiefe. Es leben dort Zehnjährige, „die noch nie einen Tropfen Regen auf ihrer Haut gespürt haben“, berichtete das Schweizer Fernsehen anlässlich der australischen Buschbrände in diesem Winter.

Die Journalistenanfragen an Trockenforscher Dr. Marx nehmen zu, das Wetter, genauer gesagt: das Klima ist „Thema“. Ich erinnere mich, als ich in der Buchhandlung Dussmann 2014 fünf Regale voller Bücher über das Klima sah, dachte ich noch: „Die spinnen doch!“ Dabei hatte es in der UdSSR schon in den siebziger Jahren viele Publikationen von Arktisforschern über den Rückgang des Packeises infolge der Klimaerwärmung gegeben. Auch eine Trockenforschung gab es: insofern der Rückgang an Regen, das heißt an Schnee, registriert wurde – von der „Hauptverwaltung nördlicher Seeweg“, wo die Daten von über 100 Wetterstationen zusammenkamen. 2018/19 hat dann neben den großen sibirischen Waldbränden vor allem das Auftauen der Dauerfrostböden Besorgnis erregt – Stichwort Milzbrandbakterium.

In Deutschland wird den Forstbesitzern geraten, für ihre Wiederaufforstung dürreresistente Baumsorten zu nehmen. In den letzten zwei Jahren sind laut Andreas Marx „200.000 Hektar Wald abgestorben. Die kriegen das Holz da gar nicht alles raus.“ Dieses neue Waldsterben hat unterschiedlichen Gründe: „So sind die Fichten im Harz nicht vertrocknet, sondern verhungert, weil die Nährstoffe wegen der von den Borkenkäferlarven zerstörten Kapillaren nicht mehr überall hingelangten.“ Und wegen der Hitze 2018, schon im April, „hatte der Borkenkäfer statt zwei oder drei Generationen wie sonst vier.“

Die Bauern sollen sich mit anderen Feldfrüchten vertraut machen. „Das Dürrejahr 2015 war für die Maisbauern katastrophal und seitdem hatten wir relativ trockene Jahre, Trockenheit gab es auch in der Vergangenheit schon: 1976 und 2003, der Gipfel war 2018/19: Hitze und Trockenheit“ – selbst für Dr. Marx überraschend, anscheinend auch für Leipzig, denn dort „fehlte es an Lkws, um die Bäume zu gießen, woraufhin die Stadt alle Ämter und zum Teil auch Firmen mobilisierte.“

Beim wissenschaftlichen „Dürremonitoring“ geht es auch um die Anwender (bis hin zu Politikern). Die heutigen Projektanträge in der Forschung, sagt Dr. Marx, müssen Praxis-Umset­zungs-An­teile haben. „Wir brauchen dazu regionale Entscheidungsträger, wie Forstbetriebe, Wasserversorger, Bauernverbände: Deren praktisches Wissen ist wichtig.“

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