Engherzige Solidarität

In Zeiten des Coronavirus fürchten einige Verantwortungsträger im Sport am meistendie Wirtschaftsschäden. Eine unrühmliche Rolle nimmt dabei Dortmunds Vereinschef ein

Protest mit Maske: die Ersatzspieler von Gremio Porto Alegre Foto: imago

Von Johannes Kopp

Geschützt fühlten sich die Profis von Porto Alegre Gremio von ihrem regionalen Fußballverband nicht. Und so liefen die Spieler des südbrasilianischen Topklubs am Wochenende mit Schutzmasken auf, um ihren Protest zu unterstreichen. Ihr Trainer Renato Gaucho, der mit Schutzmaske zur Pressekonferenz erschien, ließ seinem Unmut freien Lauf: „Auch wir sind nicht immun gegen das Virus. Muss der Fußball in Brasilien nicht stoppen? Die ganze Welt stoppt. Brauchen wir hier erst einen Streik?“ Auch in Rio de Janeiro betraten die Profis der Traditionsvereine Botafogo und Vasco da Gama wegen der Verbreitung des Coronavirus mit Atemschutz den Rasen.

Nach den Spielen am Sonntag setzte immerhin Minas Gerais als erster von 27 Regionalverbänden die laufende Meisterschaft vorübergehend aus. Und der nationale Fußballverband CBF stellt den Spielbetrieb ihrer Wettbewerbe nun ab dieser Woche ein. Betroffen sind Pokalpartien, die erste und zweite Liga der Frauen sowie Jugendmeisterschaften. Die brasilianische Serie A startet planmäßig erst im Mai.

Es sind nach wie vor nicht wenige, welche das Gefahrenpotenzial dieser Pandemie nicht begriffen haben. Der brasilianische Rechtspopulist und Staatspräsident Jair Bolsonaro erklärte am Wochenende: „Wenn man Fußballspiele absagt, trägt man zur Hysterie bei. Absagen halten den Virus nicht auf. Die Wirtschaft darf nicht stoppen. Das wird zu Arbeitslosigkeit führen.“ Vor wenigen Tagen glaubte Bolsonaro noch, der Coronavirus sei eine „Fantasie“, die von den Medien weltweit verbreitet werde. Die mittlerweile etwa 200 positiv getesteten Coronafälle in Brasilien haben ihn eines Besseren belehrt. Die Konsequenzen daraus abzuschätzen, scheint aber nicht nur Bolsonaro schwerzufallen.

Selbst im deutlich schwerer betroffenen Deutschland äußerte sich Borussia Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke im Sinne von Bolsonaro. Nachdem die Deutsche Fußball-Liga den Spielbetrieb fürs Wochenende absagte, monierte er bereits: „Das Präsidium der DFL hat eine Entscheidung getroffen, die es zu respektieren gilt – unabhängig davon, dass es sicher auch andere Ansätze gegeben hätte.“ Am Wochenende forderte er bei einem Auftritt in der ARD-„Sportschau“ gar, schnellstmöglich wieder den Trainingsbetrieb aufzunehmen: „Wir müssen ja irgendwann zur Normalität zurückkehren. Wir sollten es auch nicht übertreiben. Die Gesundheitsgefahr für eine Profimannschaft, die aus Athleten besteht, würde ich als nicht so gravierend einstufen.“ Er wies darauf hin, dass die Aussetzung der Spiele für kleinere Klubs eine wirtschaftliche Katastrophe seien, er das Revierderby gegen Schalke lieber ohne Publikum ausgetragen hätte.

„Wir sollten es auch nicht übertreiben“

Hans-Joachim Watzke, Boss von Borussia Dortmund

Auch Bayern Münchens Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge hatte auf den wirtschaftlichen Schaden der Absage vom Wochenende in dreistelliger Millionenhöhe hingewiesen. Vor allem kleinere Klubs würden unter den fehlenden Einnahmen von TV-Geldern leiden.

Dass für die Nöte der schwächeren Vereine gerade Vertreter der potentesten Klubs trommeln, mag bemerkenswert erscheinen. Watzke meinte mit Blick auf die Mitgliederversammlung der DFL am Montag gar: „Wir müssen das jetzt alle gemeinsam solidarisch tragen.“ Allerdings machte Watzke bei seinem TV-Auftritt wiederum deutlich, dass sein Solidaritätsverständnis eher engherzig ausgelegt ist: „Wir sind Konkurrenten und ein Wirtschaftsunternehmen. Am Ende des Tages können nicht die Klubs, die die letzten Jahre gut gearbeitet haben, die, die es nicht getan haben, belohnen.“

Eintracht Frankfurts Sport-Vorstand Fredi Bobic dagegen wirbt dafür, wegen der TV-Gelder nicht auf Geisterspiele zu setzen. Er erklärte am Montag, in einer solchen Situation dürfe man von Profis nicht erwarten, sich aufs Fußballspielen konzentrieren zu können. Die verschiedenen Reaktionen zeigen: Das Coronavirus legt derzeit nicht nur die Schwächen des Immunsystems offen.