das portrait: Der schwedische Politiker Jimmie Åkesson blamierte sich in der Türkei
Zu einer „Studienreise“ erklärt Jimmie Åkesson seinen Ausflug im Nachhinein. Ende vergangener Woche stand der Vorsitzende der „Schwedendemokraten“ jedenfalls an der türkisch-griechischen Grenze und verteilte Flugblätter unter den Flüchtlingen. Seine angeblich im Namen der „People of Sweden“ verkündete Botschaft: „Sweden is full. Don’t come to us.“ Am Freitagnachmittag nahm die türkische Polizei ihn drei Stunden lang in Gewahrsam und eskortierte ihn dann zum Flugzeug. In der Türkei hat er nun Einreiseverbot.
Den Zweck seines Auftritts hat er erreicht: Aufmerksamkeit. In Schweden kritisieren zwar die meisten Medien den selbst ernannten Grenzschützer. Politikerkommentare reichen von „niederträchtig“ über „faschistische Partei eben“ bis zu „man kann sich nur schämen“. Doch was zählt das, wenn die eigene Gefolgschaft zufrieden ist?
Åkessons und seine Partei finden ein Viertel der schwedischen WählerInnen überzeugend. In aktuellen Umfragen führen die „Schwedendemokraten“ – ein Erfolg, den sich der 40-Jährige wohl kaum vorstellen konnte, als er 2005 zum Vorsitzenden gewählt wurde. Er trat der Partei bei, als die noch offen neonazistisch auftrat und bei manchen Veranstaltungen schon mal Hakenkreuzfahnen hingen. Auf Nachfragen kann Åkesson sich daran nicht erinnern. Er sei „jung und naiv“ gewesen, die Partei habe ihn wegen ihrer Anti-EU-Linie interessiert. Jedenfalls übernahm er nach fünf Jahren schon den Vorsitz des Jugendverbands der 0,3-Prozent-Partei.
Die „Schwedendemokraten“ unter Åkesson zogen 2010 erstmals in den Reichstag ein. Danach kündigte er „null Toleranz gegen Rassismus“ an. Damit wollte er sich aber primär von unliebsamen Konkurrenten trennen und die eigene Machtposition stärken. Rassismus gibt es in der Partei auch heute noch im Überfluss. Was sich inzwischen geändert hat, ist die Bereitschaft von Konservativen und Christdemokraten, mithilfe der „Schwedendemokraten“ an die Macht zu gelangen. Gattin Louise Erixon, Mutter von Sohn Nils, hat das bereits vorgemacht. Dank einer Koalition mit diesen Mitte-Parteien wurde sie 2019 erste schwedendemokratische Bürgermeisterin einer schwedischen Stadt. Nach den Wahlen 2022 ein schwedischer Ministerpräsident Åkesson? Ausschließen kann man es nicht mehr.
Reinhard Wolff, Stockholm
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