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Ringen um die Repräsentation

In seiner Performance „Measure for Pleasure“ im HAU 3 versucht der Regisseur und SchauspielerBenny Claessens, den patriarchal geprägten Mythos der Frau zu dekonstruieren

Von Nicholas Potter

„Do not walk outside this area“ ,steht vorne auf dem Bühnenboden, groß gedruckt in einer simp­sonsartigen Cartoonschrift. Mehrmals im Laufe der mit knapp drei Stunden entschieden zu langen Performance im HAU 3 wird die Performerin Teresa Vittucci den Bereich dennoch betreten. Tanzt sie buchstäblich aus der Reihe? Durchbricht sie die vierte Wand? Nicht wirklich.

Der Ankündigungstext war durchaus vielversprechend: Benny Claessens neueste Performance „Measure for Pleasure – Another Period Piece“, die am Samstag ihre deutsche Premiere nach der Oktober-Uraufführung im Züricher Theater Neumarkt feierte, soll sich mit „bekannten und vergessenen Repräsentationen in der Geschichte der Darstellung der Frau“ beschäftigen. Die Intention dahinter ist, den vom Mann geschaffenen Mythos der Frau auf der Bühne zu dekonstruieren.

Ein lobenswertes Unterfangen, das pünktlich zum Frauenkampftag am Sonntag eine besondere Aktualität hat. Nur: Das Ergebnis ist für den Zuschauer eine anstrengende Herausforderung, überschwemmt von einer Masse an uneindeutigen Assoziationen.

Claessens ist besser bekannt als Schauspieler: 2018 wurde dem belgischen Performer der Alfred-Kerr-Darstellerpreis beim Theatertreffen für seine Rolle in Falk Richters „Am Königsweg“ verliehen. Im selben Jahr nannte ihn Theater heute „Schauspieler des Jahres“. Mit „The Last Goodbye/Vibrant Matter“ war er damals als Regisseur und Schauspieler auch schon im HAU zu sehen.

Claessens hat eine herausragende Bühnenpräsenz, die nicht selten zum selbstironischen Stoff des Abends selbst wird: Benny, die arrogante Diva, die selbstverliebte Rampensau. Dass Claessens hier abseits der Bühne in seiner Regierolle bleibt, ist eine nachvollziehbare dramaturgische Entscheidung. Es gibt Rob Fordeyn und Teresa Vittucci mehr Raum, sich künstlerisch zu entfalten. Doch Claessens’ Handschrift ist sofort zu erkennen: durch die poetische Körpersprache der Performer*innen, die grazilen, sinnlichen Bewegungen.

Im Laufe der Performance spielen sich Rob Fordeyn und Teresa Vittucci mit Hilfe kultureller Referenzen und ohne viele Worte von der Neuzeit bis in die Gegenwart. Zu Beginn trägt die barbusige Vittucci eine Nonnenhaube.

Eine Anspielung auf die Nonne Isabella in Shakespeares „Measure for Measure“, auf das Claessens Titel sich bezieht? Womöglich. In einer anderen Szene ist sie scheinbar blind: sie schielt und tastet ihren Weg zur Fensterkulisse, die sie dann herunterreißt. Das sorgt zwar für ein bescheidenes Gelächter, ohne den eigentlichen Bezug zu kennen, kann man es allerdings inhaltlich nicht begreifen.

Ähnlich ist es bei der musikalischen Gestaltung: The Pixies’ „Where Is My Mind?“ kommt zweimal vor, zuerst als Streichquartettnummer, später die raue, übertönende Originalversion. An einer anderen Stelle wird Blondies „Atomic“ a cappella gespielt. Der inhaltliche Zusammenhang lässt sich aber leider nicht erschließen. Wiederholte Aufnahmen von feministischen Texten bieten eine zusätzliche Bedeutungsebene, doch deren genaue Relevanz für die Bühnengeschehnisse bleibt ebenso rätselhaft: „When I’m wet I’m fluid, when I’m dry I’m a rock“, sagt eine englische Stimme. Später: „It’s not a wound. It’s where you came from“.

Kurz vor der Pause erreicht die Performance eine Art Höhepunkt: Fordeyn und Vittucci ringen nackt auf einem Himmelbett, ein rhythmischer New-Wave-Track donnert aus den Boxen, die Lichter blitzen rot und blau durch den Kunstnebel in einem sexuell-künstlerischen Machtkampf zwischen den Geschlechtern.

So richtig überzeugen kann aber auch das nicht: Nach der Pause haben sich einige Publikumsreihen geleert. Keine schlechte Entscheidung für diejenigen, denen schon die erste Hälfte zu konfus war. Denn die zweite Hälfte ist dann noch abstrakter – eine erwünschte Klärung bleibt aus.

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