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Schnäppchen im schwarzen Filz

Neu ist nur die Brezel. Alles andere ist alt. OB-Kandidat Sebastian Turner, nach eigenem Bekunden unabhängig und parteilos, bedient sich ungeniert der schwarzen Seilschaften. Immobilienfirmen, Sparkassenverband, Stadtmöblierer – für alle ein Schnäppchen. Turner und seine Truppe glauben, sie könnten weitermachen wie bisher. Ein Irrtum

von Josef-Otto Freudenreich

Bernd Klingler ist ein freundlicher Mensch. Er bringt kleine Laugenbrezeln mit, frisch verpackt in weißen Plastiktütchen, mindestens haltbar bis Mai 2013. Sie sind derzeit im Rathaus zu haben. „Der Kandidat ist überall“, sagt der FDP-Fraktionschef und setzt ein schiefes Grinsen auf, als hätte er gerade in einen sauren Drops gebissen. Die Tüte ist von Turner. Klingler wollte einen anderen Kandidaten. Eine Persönlichkeit wie Walter Döring, sagt der 44-Jährige, der Exwirtschaftsminister hätte der Partei etwas gebracht. „Mit einem eigenen Kandidaten“, formuliert der 44-jährige Werbefachmann vorsichtig, „wären wir als Liberale definitiv präsenter gewesen.“ Aber den wollten die Altvorderen um den früheren FDP-Stadtrat Matthias Werwigk nicht, und dann hat seine Fraktion eben brav genickt. Jetzt haben sie Sebastian Turner (46), den Berliner Import, der stets seine Unabhängigkeit betont – und dennoch auf dem CDU-Ticket reist.

Für einen Parteimenschen, der kein Anhängsel sein und nicht am Katzentisch der Schwarzen sitzen will, ist das schwierig. Noch schwieriger dann, wenn er nicht weiß, warum er für diesen Bewerber trommeln soll. Für einen Brezelmeister, wie Turner im Rathaus genannt wird? Klingler geht es wie vielen in der Stadt, die sich fragen, warum der Werbemillionär den Job partout will. Langeweile, Eitelkeit, Sendungsbewusstsein, Papa George, dem Ehrensenator, zeigen, was Sohnemann draufhat? Keiner weiß es. Selbst die Ansage, die Stadt wie ein Unternehmen führen zu wollen, sprich der Verwaltung endlich die Hammelbeine lang zu ziehen, stimmt den FDP-Mann nicht zuversichtlicher. Im Gegenteil. Bürgermeister, Amtsleiter, Gemeinderäte, die nur auf Anweisungen des Oberzampanos warten? Undenkbar. Die Kisten voller Werbematerial, die ihm Turner bei der CSD-Parade auf den Lkw gewuchtet hat, haben die Erkenntnislücke auch nicht geschlossen. Er habe, sagt Klingler, im Hauptberuf Inhaber einer PR-Agentur, die Brezel-Kärtchen eben ins Volk geschmissen.

Und jetzt die Nummer mit dem Riesenplakat an der Heilbronner Straße (vgl. Kontext vom 11.08.). Darüber wundert sich einer, dem eine Nähe zu diesem Geschäft auch nicht abgesprochen werden kann: Bernhard H. Reese, Geschäftsführer und Anzeigenleiter im Stuttgarter Pressehaus. Er ist der „hochgestellte Fachmann“ aus einer „großen Stuttgarter Zeitungsgruppe“, wie ihn Turner auf seiner Homepage diskret nennt. Die beiden haben über Anzeigenpreise geplaudert, so von Kollege zu Kollege, die sich aus der Zeit kennen, als Reese noch bei der Sächsischen Zeitung in Dresden war. Nun wollte Turner keine Reklame in der Stuttgarter Zeitung oder in den Stuttgarter Nachrichten schalten, sondern nur wissen, wie es in Möhringen um Rabatte bestellt sei. Und daraufhin habe Reese geantwortet, Preisnachlässe bis zu 90 Prozent seien derzeit üblich. Nachzulesen auf turner.de.

90 Prozent Rabatt bei der StZ – das wär's

Das wäre ein Fest geworden, für alle Breuningers in Stadt und Land – wenn es denn stimmte. Stimmt aber nicht, sagt Reese auf Kontext-Anfrage. Ergrimmt hat er Turner ein Dementi geschickt, in dem er schreibt, seine Aussagen seien „auf den Kopf gestellt“ worden. Nie und nimmer habe er Tageszeitungen mit Plakaten verglichen, solche „extremen Sonderkonditionen“ gebe es in seinem Haus nicht. Nur nebenbei: alles andere wäre auch geschäftsschädigend gewesen. Reese schrieb's und wunderte sich darüber, dass seine Mail nur kurz auf der Turner-Seite auftauchte und dann verschwand. Aus gutem Grund. Sein Dementi hätte die Überschrift („Brezelgate zerbröselt“) zerlegt, unter der dem Leser klargemacht werden sollte, warum der Plakatdeal völlig unbedenklich war: Was nichts kostet, lässt dem Kandidaten freie Hand. Und damit auch die Journalisten begreifen, wie sie ihr Handwerk auszuüben haben, hat ihnen der Kommunikationsexperte Turner empfohlen, zum „Haustelefon“ zu greifen und bei ihrer Anzeigenabteilung nachzufragen, wie es um Rabatte bestellt ist. Will sagen: sein „Kronzeuge“ Reese hätte ihnen erklärt, dass es sich hier um Peanuts handelt, die keine Geschichte wert sind. Auch eine interessante Variante, wie sich der Nebenerwerbspublizist (Welt, FAZ) Journalismus vorstellt.

Seitdem ist das Verhältnis zum Platzhirsch getrübt, das traute Mittagessen mit StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs Geschichte. Die Kollegen erinnern sich an cholerische Ausbrüche Turners, an umgeschriebene Interviews, an ständige Aufforderungen, über seine Aktivitäten zu berichten. Und zwar so, wie er es gerne hätte. Selbst Lokalchef Achim Wörner, sonst kein Freund scharfer Worte, spricht von einem „kommunikativen Desaster“ und stellt die Unabhängigkeit des Quälgeistes „grundsätzlich“ in Frage. Das kommt gar nicht gut und erhöht für den Kandidaten das Risiko, dass genauer hingeschaut wird.

Die Schwäbische Wohnungs AG: wie Kai aus der Kiste

Bei der Ilg Außenwerbung zum Beispiel, die zu Wolfgang Schusters Zeiten prächtige Geschäfte mit der Stadt gemacht hat. 620 Litfaßsäulen, Jahresumsatz 2,8 Millionen Euro, und eine Einladung an Bürgermeister, Amtsleiter und Stadträte samt Frauen und Kindern zum Tennisturnier in die Porsche-Arena. Sternekoch inklusive. Die Staatsanwaltschaft hielt das für Bestechung und schickte dem Stadtmöblierer einen Strafbefehl. Wie berichtet, war es Ilg, der ursprünglich als Plakatspender ausgelobt wurde, bis die Schwäbische Wohnungs AG wie Kai aus der Kiste sprang. Sie soll es jetzt gewesen sein, die die Freifläche unentgeltlich zur Verfügung gestellt hat. Verbunden mit einer Sachzuwendung in Höhe von 7.500 Euro an den Turner-Verein („Bürger-OB e.V.“), der von CDU, FDP und Freien Wählern als Sammelstelle eingerichtet wurde. Man kann das auch als Investition in die Zukunft betrachten: Die Schwäbische Wohnungs AG verhandelt aktuell mit der Stadt über den Bau eines Luxushotels oder eines exklusiven Wohnungsgebäudes auf dem Stuttgart-21-Gelände an der Ecke Heilbronner /Wolframstraße.

Als Nächstes treten die Wohltaten für Turners Wahlkampfzentrale zutage. 320 Quadratmeter in der Schlossstraße 47, ursprünglich als „Geschenk“ der Immobilienwirtschaft gefeiert. Eine Zuwendung der Dietrich-Troeltsch-Grundstücksverwaltung GmbH & Co KG, die ihren Beitrag zum Gelingen mit einer Gratisvermietung habe leisten wollen. Hieß es zunächst. Dann hat es doch plötzlich, des Finanzamts wegen, etwas gekostet. 2.500 Euro monatlich, für den Mai sei nachträglich überwiesen worden, lässt der Verein „Bürger-OB“ wissen.

Sprecher Schorn auf 100 Prozent

Sebastian Turner sagt zu alldem nichts. Er ist in Urlaub. Sprechen muss Stephan Schorn (CDU), der von 2002 bis 2008 für Schuster (CDU) gesprochen hat und seit Mai 2008 dem Sparkassenpräsidenten Peter Schneider (CDU) dient. Derzeit ist der 42-Jährige zu 20 Prozent an Turner ausgeliehen, ab September werden es 100 Prozent für sieben Wochen sein, weil der Sprechbedarf hoch ist. Dafür übernimmt die CDU einen Teil des Verdienstausfalls. Für den Kandidaten wird das gut sein, weil Schorn ein Profi ist, für die Sparkässler weniger, weil sie eigentlich keine Hilfstruppe der CDU sein sollten. Der Schwabe, ob schwarz, rot oder grün, trägt dort sein Erspartes hin.

Schorn hat momentan keinen leichten Job. Selbstverständlich ist er von seinem Bewerber überzeugt, beeindruckt von dessen Mut, diese Herausforderung anzunehmen. Er sieht die Challenge als Motiv bei seinem Besuch in der Kontext-Redaktion. Aber ständig neue Feuerchen, die Front im Pressehaus und ein OB-Aspirant, für den es „sauschwer“ sei, im politischen Geschäft „von null auf hundert“ zu kommen, das verlangt den ganzen PR-Mann. Ausgang offen. Vertreter der Wirtschaft müssten sich erst daran gewöhnen, genau gescannt zu werden, erläutert er, das sei in ihrem Beritt nicht üblich, auch wenn sie eigentlich nichts zu verbergen hätten. Andererseits fragt er: Was ist schlimm daran, wenn Unternehmen an Personen ihres Vertrauens spenden? Sind sie dann gleich abhängig, gar käuflich? Ein wohlhabender Mann wie Turner? Nein, für ihn undenkbar. Im Übrigen sei das bei den anderen Parteien genauso.

Doch Schorn ist Stuttgarter genug, um zu wissen, dass schon der Anschein genügen kann. Auch ihm ist nicht verborgen geblieben, was in den letzten Jahren in der Stadt passiert ist. Dass viele die Seilschaften, das Kungeln in den Hinterzimmern satt haben, dem politischen Personal zutiefst misstrauen. Aber wahrscheinlich ist es schwer, sich als Teil des Systems davon freizumachen, mal neben sich zu stehen und zu erkennen, dass der Bürgerprotest auf Fundamentales zielt: auf eine demokratische Gesellschaft. Die vorgeschlagene Überschrift „Schnäppchenjäger im schwarzen Filz“ mag er jedenfalls so nicht stehen lassen, sie sei doch weit hergeholt. Lieber rät er zur Gelassenheit, auch seinem Kandidaten.

Das alte Schlachtross Mayer-Vorfelder tritt auf die Bühne

Ob's hilft, weiß gegenwärtig niemand. Selbst in der CDU ist Turner keineswegs unumstritten. In der Partei fragen sie sich, ob ein Parteiloser, der mit den Piraten flirtet, der Richtige ist? Ob sie jetzt wieder, Augen zu und durch, folgen müssen? Das Mappus-Trauma sitzt noch tief. Und sie lesen mit Erstaunen in der Zeitung, wie der IHK-Präsident Herbert Müller alle aussichtsreichen OB-Kandidaten abwatscht („Wirtschaft spielt offensichtlich keine Rolle“) – inklusive jenem, der sich dafür prädestiniert fühlt: Sebastian Turner.

Müller darf in dieser Angelegenheit als kundig gelten, hat er sie doch alle – außer Rockenbauch – in seinem Weinberghäusle vernommen. Zusammen mit Hans-Peter Stihl (Sägen), Willem G. van Agtmael (Breuninger) und Georg Fundel (Flughafen). Nach Einschätzung eines Teilnehmers bot sich danach folgendes Bild: Bettina Wilhelm (parteilos/SPD) warmherzig, Sebastian Turner (parteilos/CDU) großes Entwicklungspotenzial, Fritz Kuhn (Grüne) größter Respekt. Stephan Schorns Job ist es jetzt, dieses Potenzial zu heben. Der erste Schritt wird sein, so viel verrät er, die Brezel durch den Kopf Turner abzulösen. Und dann wird demnächst Gerhard Mayer-Vorfelder als Unterstützer aus der Kulisse treten. MV, das alte Schlachtross, wisse, sagt Schorn, was kämpfen heißt.

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