Jan-Paul Koopmann Popmusik und Eigensinn: Lost in Translation
Dass die Rockmusik ihr revolutionäres Potenzial auch deshalb verloren hat, weil heute jede*r die englischen Texte versteht, anstatt sich wilde Geschichten zurechtzuträumen – das stand an dieser Stelle schon mal. Ich glaube, Wolfgang Seidel hat es gesagt. Stimmen tut’s aber auf jeden Fall. Voodoo Jürgens singt nun aber gar kein Englisch. Und sein Wienerisch versteht hierzulande auch nach dem vorläufigen Abschluss der Globalisierung noch keine Sau. Tatsächlich geht es noch: gesprochenes Wort in Stimmung zu übersetzen, in eine aufgekratzte Seelenlage, obwohl und weil man nichts versteht.
Stichwortgeber fürs Wild-Werden ist meist der Refrain „Jo heite grob ma Tote aus“ etwa. Morbide ist das, und vermittelt es über die schief schunkelige Musik auch sonderbar schwungvoll. Als hätte man den Spaten auf dem Sofa schon auf der Schulter.
Aber Revolution? Eher nicht. Stattdessen gilt es, wie zugedröhnt auch die Ambivalenzen des eigenen Lebens nachzufühlen: „Zwischen Zuckerbude und Kadaverfabrik / Wos siaßld oda noch hinige Viecha riacht / Wo de Kinda in da Fruah ins Bushittl schlatzn / Und a Meubal noch da ondaren hatzn“. Um Ihnen den Erlebnis nicht zu verderben, soll hier verschwiegen bleiben, was es bedeutet, ins Bushittl zu schlatzn, oder a Meubal zu hatzn. Aber es klingt gut und sehr gewichtig. Aufregender jedenfalls, als Voodoo Jürgens’Kindheit in Tulln wohl tatsächlich gewesen ist, von der das Lied wohl handelt.
Wirklich rührend ist auch, dass die Sprache nie bruchlos als Ausweis von Herkunft, Heimat oder gar Identität herhalten muss. Es ist vielmehr ein vokalreiches Fühlen, mehr Zustand als Inhalt. Und das gilt auch nicht nur hier: Immerhin zwei Wiener*innen hab ich gefragt, und die verstehen ihn auch nicht richtig.
Mi, 26. 2., 20.30 Uhr, Lagerhaus
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