: Schleierverbote in Frankreich
Religiöse Kleidervorschriften im Konflikt mit der Republik: Regeln für Tschador, Hijab, Burka, Niqab und „Burkini“ in Frankreich
Aus Paris Rudolf Balmer
Dreißig Jahre dauert die Debatte nun in Frankreich schon, und ein Ende der Kontroverse um den islamischen Schleier in seinen verschiedensten Formen ist nicht abzusehen. Begonnen hat der Streit, der oft Meinungsgräben quer durch politische Lager aufwirft, 1989. Das heißt nicht, dass vorher überhaupt nie Frauen aus Glaubensgründen oder aus Gehorsam und patriarchalisch geprägten Traditionen eine Art Schleier getragen hätten.
Aber offenbar war das vorher zu „exotisch“ oder schlicht zu selten, um die Öffentlichkeit zu erregen, wie dies der Fall war, als im September 1989 Samira (14) und die Schwestern Leïla (14) und Fatima (13) wegen Foulards, das heißt islamische Kopftücher, die sie auch im Unterricht tragen wollten, aus ihrer Mittelschule in Creil, einem nördlichen Vorort von Paris, nach Hause geschickt und schließlich ausgeschlossen wurden, weil sie trotz Bitten und Drohen der Schulleitung nicht nachgeben wollten.
Ein Zeitungsartikel mit dem reißerischen Titel „Der Tschador in der Schule“ hatte zuvor schon zusätzlich Öl in eine beginnende Kontroverse gegossen. Darin ging es eigentlich weniger um ein bisschen zu viel Tuch aus religiösen Motiven, sondern pauschal um Integrationsprobleme. Der „Kopftuch-Streit“ stand von Beginn weg unter dem Verdacht einer Fremdenfeindlichkeit, selbst wenn unter Berufung auf laizistische Prinzipien der in Frankreich seit 1905 verfassungsrechtlich verankerten Trennung von Staat und Religion argumentiert wurde. Der historische Kontext ist nicht ohne Bedeutung: Ende der 80er-Jahre nahm der Rassismus in Frankreich mit Ressentiments gegen die aus dem Maghreb und Afrika zugewanderten Familien zu, Jean-Marie Le Pens rechtsextreme Partei „Front national“ gewann mit einer ausländerfeindliche Propaganda gegen die „Araber“ immer mehr Zulauf.
Prompt protestierte die Organisation „SOS Racisme“, ein Kopftuchverbot sei als Verletzung der Glaubensfreiheit „skandalös“ und stelle einen rassistischen Versuch dar, „den Islam in ein Getto zu isolieren“. Umgekehrt sahen nicht nur FeministInnen im Foulard ein Symbol einer unerträglichen Unterordnung der Frau. Wer diesbezüglich Toleranz predige, leiste der Einführung der „Scharia“ in Europa Vorschub, hieß es von links und rechts. Viel später nach den terroristischen Attentaten von Dschihadisten kam noch hinzu, dass ein ostentativ getragener islamischer Schleier als Zeichen einer Zugehörigkeit zu extremistischen Formen des Islam und deshalb als Provokation betrachtet wurde. Für viel Wirbel sorgte zudem einen Sommer lang der Versuch, mit „Burkini“ an einigen Badestränden die Debatte auszuweiten. Voll bekleidete und verschleierte Badenixen bleiben indes bisher extrem selten.
Seit Jahren versuchte der Gesetzgeber im französischen Recht und in der Praxis des Zusammenlebens Regeln zu definieren, die sowohl der Glaubensfreiheit wie der Laizität Rechnung tragen. Auf öffentlichem Grund darf anstandslos ein Schleier im Stil des Hijab getragen werden, der das Gesicht nicht verdeckt, wie dies im Gegensatz dazu beim Niqab oder der Burka der Fall ist, die darum in der Öffentlichkeit nicht zulässig sind.
Im Alltag gelten für die islamischen Kopftücher heute folgende Regeln:
•In der Grundschule und auf allen Stufen der Mittelschulen darf im Unterricht der Kopf der Minderjährigen nicht bedeckt bleiben.
•Allen Beschäftigten im öffentlichen Dienst (inklusive LehrerInnen) ist es untersagt, einen Hijab zu tragen, weil die BeamtInnen den Staat repräsentieren und zu einer strikten religiösen Neutralität verpflichtet sind.
•In privaten Unternehmen gibt es keine allgemeine Regel: Nichts hindert eine gläubige Muslimin, einen Hijab zu tragen, es sei denn, das stehe in Widerspruch zur Ausübung ihres Berufs oder stelle ein Risiko für ihre Sicherheit oder für die Hygiene dar. Das muss aber von der Direktion belegt werden.
•An der Universität besteht grundsätzlich für die volljährigen Studentinnen kein Schleierverbot, solange das Gesicht unverhüllt bleibt und kein den Ausbildungsbetrieb störender Bekehrungseifer vorliegt. Bei Examen darf verlangt werden, dass eine Studentin ihr Foulard entfernt, damit geprüft werden kann, ob sie ein Headset im Ohr (zum Schummeln) trägt.
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