Emotion und Relevanz

Seit den Enthüllungen über das LPT-Labor bei Hamburg bewegen Tierversuche auch in Bremen wieder stärker die Gemüter. Vor dem Forschungslabor von Andreas Kreiter wird ein jahrzehntealter Streit aufgewärmt

Sind Tierversuche der reinste Horror? Dass die Forschung das Grauen züchtet, war die biopolitische Angst der 70er-Jahre Foto: MGM-Archiv Mary Evans/Imago

Von Lotta Drügemöller

Als Andreas Kreiter zur Mahnwache gegen sein Institut für Hirnforschung kommt, wird er zunächst gar nicht bemerkt. Etwa hundert Tierrechtsaktivist*innen sind am Freitagabend gekommen, mit Grabkerzen und Lichterketten. Auch in Bremen wolle man „den Affen und allen anderen Tieren, die immer noch in Tierversuchen an der Universität leiden müssen, zeigen, dass wir sie nicht vergessen haben“, heißt es in der Einladung des Bremer Tierschutzvereins.

Viel mehr als ein Zeichen der Solidarität setzen können die Tierschützer*innen nicht. „Die Mittel in Bremen sind leider ausgeschöpft“, so Gaby Schwab, Sprecherin des Tierschutzvereins. Nach Protesten gegen die Affenversuche wollte der Senat sie 2008 nicht länger bewilligen. Doch Kreiter klagte – 2014 entschied schließlich das Bundesverwaltungsgericht, die Versuche seien ethisch vertretbar. Bremen musste sie genehmigen.

Dass das Thema nun wieder hochkocht, hat mehr mit dem „Laboratory of Pharmacology and Toxicology“ (LPT) in Harburg zu tun. Im Oktober hatte die Aktivistengruppe „Soko Tierschutz“ einen aufrüttelnden Film über Missstände im LPT veröffentlicht, der Landkreis ließ das Labor schließen. „Die Leute sind jetzt wieder sensibilisiert für Tierversuche“, stellt Schwab fest.

Kreiter und sein Mitarbeiter steigen in Diskussionen mit den Aktivist*innen ein. Die Argumente zwischen ihnen sind bereits Dutzende Male ausgetauscht: Die Affen dürsten, so die Tierschützer*innen; Makaken leben in der Natur bis zu zwei Wochen ohne Wasser, so die Forscher. Kreiter betreibe reine „Neugierforschung“, ohne Ergebnisse, so die Bremer Ärzte gegen Tierversuche; es handele sich hier um wichtige Grundlagenforschung zur Entstehung von Wahrnehmung, sagt Kreiter.

Bei den Versuchen messen Elektroden, was in den Gehirnen passiert, wenn die Makaken etwa bekannte Formen erkennen. In ihrer Fünf-Tage-Woche bekommen die Affen nur gegen Mitarbeit Wasser. Nach etwa zehn Jahren im Labor werden sie eingeschläfert und ihre Hirne obduziert. Die Betreuung der Versuchstiere, so urteilten Fachgutachter für einen Bericht an die Bürgerschaft 2007, sei beispielhaft.

Für Schwab zählt das nicht. „Der Affe hockt über Stunden im Stuhl, er hat Elektroden im Kopf, er dürstet und bekommt tröpfchenweise Saft. Für mich ist das Folter.“ Auch die positiven Gutachten der Amtstierärzte überzeugen sie nicht: „Im LPT haben die doch auch ihr Okay gegeben.“ Einen Schritt näher kommen sie und Kreiter sich trotzdem – wenn sie wolle, könne sie vermutlich das Labor besichtigen, bietet der Forscher der Tierschützerin an.

Eine Frau spuckt dem Hirnforscher Andreas Kreiter vor die Füße – zweimal

Rings um sie hat sich die Stimmung geändert; immer mehr Protestierende haben sich um Kreiter gruppiert. „Warum forschen Sie nicht an Menschen“, heißt es. „Wie können Sie den Tieren das antun?“ Und überhaupt: „Was sind Sie für ein Mensch?“ Die Fragen wiederholen sich.

„Unser Wissen über Organe kommt aus Tierversuchen“, doziert Kreiter. „Nur deshalb kann man Ihnen im Krankenhaus helfen.“ Doch das Argument zieht nicht bei allen: „Ich nehme keine Medikamente und bin nicht geimpft“, entgegnet eine Demonstrantin. „Sehr gut“, jubeln Umstehende. Irgendwann, so der Konsens, müsse es mal gut sein mit dem medizinischen Fortschritt.

Später erzählt Kreiter, dass er und seine Familie in der Öffentlichkeit schon viele Feindseligkeiten hätten hinnehmen müssen. Ungewöhnlich sei, dass sich in Bremen auch die Politik so deutlich gegen Tierversuche positioniert habe. Bleiben wird er trotzdem: „Es ist ja fast nicht möglich zu wechseln, wenn man über Jahre ein Labor aufgebaut hat.“ Eine Frau kommt dazu, sie stellt sich als Psychotherapeutin vor. „Ich spucke Ihnen vor die Füße“, erklärt sie. Sie spuckt gleich zweimal.