„Children“ von Olivier Suter: Baby Hitchcock
Ein Bildband des Schweizer Künstlers und Kunstlehrers Olivier Suter zeigt Kinderfotos berühmter Leute. Das ist bisweilen sehr komisch.
Und wieder gibt es einen verblüffenden Bildband aus dem Haus Patrick Frey. Dessen Editionen nehmen ja gerne den Alltag, in dem wir alle leben, in den Blick. Allerdings sieht er dann doch ganz anders aus, als wir ihn kennen. Denn die Perspektive ist hier immer so, dass man unwillkürlich ins Staunen kommt.
Zuletzt hatten wir gelernt, dass es jede Menge Bilder gibt, auf denen Menschen mit dem Finger auf etwas zeigen, das nicht zu sehen ist. „Da saß er …“, hieß es dazu, und schon steckte man mitten in der Geschichte. Zeigen heißt erinnern, heißt erzählen. Auch im aktuellen Band geht es ums Erinnern, vor allem aber um einen ganz spezifischen Blick zurück in die Vergangenheit.
„Children“ heißt der Band ganz simpel und einfach, und er zeigt genau das: Kinderbilder, die der Schweizer Kunstlehrer und Künstler Olivier Suter gesammelt und zusammengestellt hat. Natürlich handelt es sich nicht um irgendwelche Kinderbilder, sondern um die berühmter Menschen. Und da ist es zunächst spannend, ob man im Kind schon die später bekannte Person erkennt. Und wenn das der Fall ist, wie bei Alfred Hitchcock, dann wird es auch ganz schön komisch.
Danach fällt dann auf, dass die Jungs Ende des 19. Jahrhunderts, also Bertrand Russell oder Franklin D. Roosevelt, Charles de Gaulle oder Marcel Duchamp, alle als kleine Mädchen gekleidet sind. Sie haben lange Locken und tragen weiße Spitzenkleidchen samt Lackschühchen. Anders sah dann 1927 Elizabeth Alexandra Mary Windsor, die spätere „Queen Elizabeth II“, auch nicht aus.
Olivier Suter: „Children“. Edition Patrick Frey, Zürich 2020. 288 Seiten, 142 Abbildungen, 52 Euro
Sie thront schon auf ihrem Stuhl, das Patschhädchen sehr bestimmt mit einer Küss-die-Hand-Attitüde auf die Armlehne gelegt. Ihre Bestimmung scheint schon in der quasi genetisch ererbten Geste sichtbar. Bei Angela Merkel, die mit dem Puppenwagen unterwegs ist, lässt sich das so nicht sagen. Man ahnt das spätere Aussehen, aber mehr gibt das Bild nicht preis.
Das sind dann die sympathischsten Kinderbilder, wenn man nicht sofort die spätere Person erkennt. Maria Callas zum Beispiel ist im Kind Maria Anna Sofia Cecilia Kalogeropoulou nicht zu entdecken. Und in Mark David Chapman nicht der spätere Mörder von John Lennon. Es sind also durchaus spätere Monster unter den Kindern zu finden, deren Fotos der Band versammelt. Keine heile Welt ist zu bestaunen, selbst wenn die Kinder durchweg unschuldig aussehen. Mit Ausnahmen von Charles Manson. Schon das Kind Charles Milles Maddox sieht irgendwie irre aus.
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