Ein ambivalentes Verhalten

Die Hauptstädter gehen gelassen mit dem Coronavirus um. Doch gibt es Berichte von rassistisch motivierten Sprüchen und Vorfällen

Auf dem Flughafen Tegel, ein Foto vom Montag dieser Woche Foto: Maja Hitij/Getty Images

Von Marina Mai

Hang Nguyen (Name geändert), eine junge Vietnamesin aus Lichtenberg, ist über die Gelassenheit der Berliner im Umgang mit dem Virus erstaunt. Sie war am Freitag vom Urlaub aus Vietnam zurückgekehrt. Dort gibt es zwar nur zehn offiziell bestätigte Corona-Fälle, aber eine hohe Dunkelziffer und sogar geschlossene Schulen und Universitäten. „Am Flughafen in Berlin wurde ich zwar akribisch nach Lebensmitteln kontrolliert, aber das war alles“, sagt sie der taz. „Ich hatte erwartet, gemeinsam mit den vielen chinesischen Mitreisenden aus dem Flugzeug in Quarantäne genommen zu werden.“ Erstaunt ist die Frau auch, dass kaum jemand in Berlin Mundschutzmasken trägt.

Doch Gelassenheit nehmen nicht alle Berliner Asiaten wahr. Am Freitag wurde nach Polizeiangaben in Moabit eine 23-jährige Chinesin von zwei Frauen rassistisch beleidigt, bespuckt, an den Haaren zu Boden gerissen und dann geschlagen und getreten. Sie musste sich ambulant in einem Krankenhaus behandeln lassen.

Ein 15-jähriger asiatischstämmiger Schüler aus Zehlendorf erzählt der taz von „blöden Sprüchen über mich und den Virus“ seitens seiner Mitschüler. „Als ich im Unterricht niesen musste, haben sich die Schüler, die vor mir saßen, weggesetzt“, sagt der Junge.

Die 46-jährige vietnamesische Altenpflegerin Phuong Vu macht seit einer Woche die Erfahrung, auf dem Arbeitsweg in der U-Bahn gemieden zu werden. „Die Leute schauen mich ängstlich an und gehen auf Abstand“, berichtet sie. Kollegen und Senioren im Heim würden ihr hingegen begegnen wie immer. Auf Twitter wird erzählt, dass sich Patienten einer Berliner Notaufnahme geweigert hätten, sich von einer Ärztin behandeln zu lassen, deren Eltern aus Fernost eingewandert waren.

Deutliche Umsatzeinbußen

Im Lichtenberger Dong-Xuan-Center, Berlins größtem Asiamarkt, sind deutlich weniger Kunden unterwegs als noch vor einer Woche, als die taz schon einmal dort auf Recherche war. Lebensmittelläden, Restaurants und Friseure sind recht leer. „Die Kunden haben Angst vor Ansteckung“, sagt eine Lebensmittelverkäuferin der taz, die jetzt deutliche Umsatzeinbußen hat.

Textilgroßhändler wie beispielsweise in der Filiale des Herrenausstatters „R.J. Black Falcons“ klagen hingegen nicht über sinkende Kundenströme. „Das wäre auch schwachsinnig“, sagt der Filialleiter der taz. „Unsere Kunden sind meist Einzelhändler und die bleiben uns treu.“ Eine Nachbarin spricht ebenfalls von der Treue der gewerblichen Kunden. Dagegen kommen „alte Leute aus der Nachbarschaft, die nur einen Pullover kaufen, aber deutlich weniger ins Dong-Xuan-Center“.

Der indische Großhändler Ajay Kumar, der noch vor einer Woche gegenüber der taz unsicher war, ob er neue Ware für sein Geschäft aus China importieren kann, freut sich jetzt, dem Virus ein Schnippchen geschlagen zu haben. Gleich nach dem Gespräch mit der taz hat er Handys und Spielzeug nachbestellt. Die Ware sei bereits unterwegs. Hätte er gewartet – wie es Kollegen getan haben –, wäre die Bestellung in China wegen der Einstellung der Produktion nicht mehr angenommen worden.

Laut Senatsverwaltung für Gesundheit wird derzeit bei mehreren Menschen in Berlin geklärt, ob sie an dem Coronavirus erkrankt sind. Mehr Sorgen macht dort allerdings die Grippewelle: Es gibt ungewöhnlich viele Fälle in Berlin: 1.626. Ein Senior starb letzte Woche an der Grippe. Von den Bezirken ist Pankow besonders betroffen. „Auch jetzt sind Grip­peimpfungen noch sinnvoll“, sagt Sprecher Oliver Fey.