Geschlecht in der Identitätskrise

Die Hannoveraner NDW-Veteranen Der moderne Man zelebrierten ihren vertrackten Punkrock im Roadrunners Paradise

Von Robert Mießner

Vorgestern in Prenzlauer Berg einen Duracell-Derwisch bei seiner Verwandlung in einen Schlangenflüsterer erlebt, und das kam so: Für den Sonnabend hatte die Hannoveraner Punkband Der moderne Man ins Roadrunners Paradise am Senefelderplatz geladen. Nach einer für Senior:innen der Gemeinde gerade noch vertretbaren Wartezeit betrat das Quartett wie choreografiert über eine steile Seitentreppe die Bühne. Nacheinander, der Sänger zuletzt.

Während seine Mitstreiter einen abgezirkelten, kantigen Beat spielten, vollführte der Mann am Mikro fantastisch mechanische Moves, bei denen die Beine den Winkeln der Arme folgten. Dazu intonierte er die folgenden Zeilen: „Zuhause mache ich mich schick / Dann gehe ich in die Disco-Tick / Dort reiße ich alle Mädels auf / Den Konsum nehme ich gern in Kauf.“ Dann aber: „Haste was – Biste was“, und: „Du wirst verbannt ins Discoland / Du wirst verbrannt im Discoland // Hirnverbrannt / Hirnverbrannt.“

„Das Disco-Lied“ heißt der Song, erschienen 1980 auf der EP „Umsturz im Kinderzimmer“, deren 40. Jubiläum Der moderne Man in diesem Jahr feiern kann, während der orthografisch korrekt geschriebene moderne Mann bei Google als erstes Suchergebnis ein „Geschlecht in der Identitätskrise“ zutage fördert. Die Band hat zur Zeit ihres Bestehens von 1979 bis 1984, fünf Jahre sind für eine Punkband nur bedingt wenig, zwei LPs, zwei Mini-LPs und ein Tape herausgebracht.

Zu der „Umsturz“-EP kam noch eine Single, „Der Sandman/Baggersee“. Auch die gab es am Sonnabend zu hören, und es erübrigt sich zu sagen, dass auch „Der Sandman“ einer ohne Doppel-N, ein bad man ist, einer, vor dem das Kind im Song gewarnt wird: „Nimm die Beine schnell in die Hand / denn es kommt der Mann mit dem Sand.“ Andernfalls: „Er pirscht sich heran / Drückt auf den Knopf / Der Sand schüttet ihn zu / Den armen Tropf.“

Böse Texte mitleichter Hand

Der moderne Man hatten nicht unbedingt das Glück, diese Art deutschsprachiger Rockmusik zur Zeit der Neuen Deutschen Welle zu spielen. Für deren Ich-will-Spaß-Ideologie waren Der moderne Man musikalisch einfach zu experimentell und textlich zu böse, das aber mit leichter Hand. Nicht von ungefähr erschien er auf einem Label, welches No Fun Records hieß: 1979 von der Band Hans-A-Plast und dem Musikredakteur Hollow Skai gegründet, verlegte No Fun Combos wie Rotzkotz, Bärchen und die Milchbubis und Mythen in Tüten und hatte mit UnterRock eine feministische Rockband am Start, die 1980 bereits sang: „Heterowelt – leck mich am Arsch“.

Ein anderer Song, den Der moderne Man ins Roadrunners brachte, ist „Blaue Matrosen“. Im Grunde eine Dance-Punk-Anverwandlung von „Ein Schiff wird kommen“, der deutschen Version des griechischen Schlagers „Ta pedia tou Pirea“ mit der von Lale Andersen und Nana Mouskouri bekannten Anfangszeile „Ich bin ein Mädchen aus Piräus“. Beim modernen Man ist es „ein Junge von Piräus“, der dann singt: „Wenn eines Tages mein Herz ich mal verlier / Dann muss es einer sein vom Hafen / Nur so nen Burschen / Wünsch ich neben mir.“

Der vertrackte Punkrock von Der moderne Man ist sinnlich. „Anakonda“ heißt ein anderes Stück, eine an den Amazonas verlegte Fantasie des Sich-Auslieferns, des Verzehrtwerdens: „Ewig, ewig Schlangenkraft“ heißt es da, der Sänger hat derweil seine Roboterbewegungen in die eines Schamanen überführt, seine Arme gleiten eher durch die Luft, als dass sie sie zerteilen.

Rockmusik mag das Offensichtliche formulieren, doch wenn sie gut ist wie hier, tut sie das verdammt edel.