Der Blockbuster-Brite

Das Bucerius Kunst Forum in Hamburg zeigt in Zusammenarbeit mit der Londoner Tate die erste große Retrospektive des britischen Malers David Hockney hierzulande

Ende der 1970er-Jahre beginnt David Hockney, menschliches Verhalten zu studieren: „My Parents“ (1977) Foto: Fotos (4): © David Hockney, Tate

Von Falk Schreiber

Ein älterer Herr steht zwischen Kunst. Links mehrere Landschaftspanoramen, rechts eine Stadtlandschaft, im Hintergrund Porträts, ausgesucht im Raum drapierte Möbel. Und mittendrin der grauhaarige Mann, hochgezogene Schultern, Brille, eine Weste, die in ihrer knalligen Farbigkeit auf die ihn umgebende Kunst Bezug nimmt: David Hockney. Die Fotocollage „In the Studio, December­ 2017“ ist die jüngste Arbeit, die bei der Retrospektive „David Hockney. Die Tate zu Gast“ im Hamburger Bucerius Kunst Forum zu sehen ist, ein großformatiges Werk, das zwar zum Bestand der Londoner Tate zählt, dort allerdings noch nie öffentlich gezeigt wurde und entsprechend mit der Ausstellung eine Premiere feiert.

Und die spektakuläre Collage birgt das gesamte künstlerische Konzept des 1937 im nordenglischen Yorkshire geborenen Künstlers in sich: Einerseits stellt sie am Beispiel eines umfangreichen Werks klar, wie kanonisiert Hockney mittlerweile ist, andererseits zeigt sie die Heterogenität, die formale Vielseitigkeit des Künstlers. Und schließlich betont sie den Camp-Aspekt seines Schaffens, das Spiel mit Performance und Selbstdarstellung, die Ironie, den Witz und die Freude an Verkleidung. Im Grunde sagt „In the Studio, December 2017“ schon alles, was man über Hockney wissen muss, im Grunde braucht man das Eröffnungswerk der Ausstellung nur intensiv zu analysieren, und man hat die Ausstellung gesehen.

Denn so unoriginell der Untertitel „Die Tate zu Gast“ im Grunde ist (und in Wahrheit ist er auch noch ungenau: Zu sehen sind neben der beeindruckenden Tate-Sammlung auch einzelne Leihgaben aus dem Kopenhagener Louisiana Museum und dem Amsterdamer Stedelijk Museum), so unoriginell ist auch der Gedanke einer Hockney-Retrospektive.

Immerhin hat man es hier mit einem der erfolgreichsten und somit auch bekanntesten lebenden Künstler zu tun, eine Werkschau kann da eigentlich nichts anderes machen als die verschiedenen formalen Sprünge in seiner Arbeit zu dokumentieren, vom expressiven Frühwerk über die neonaturalistische Malerei und die Experimente mit Raumwirkung bis zur späten Hinwendung an die Abstraktion. Und auch wenn die Hamburger Ausstellung die erste große Überblicksschau Hockneys in Deutschland darstellt: Ein besonders aufregendes Ausstellungskonzept ist das nicht.

Formale Vielseitigkeit: Hockneys Bilder „Man in Shower in Beverly Hills“ (1964), „George Lawson and Wayne Sleep“ (1972–1975) und „The Third Love Painting“ (1964)

Dabei sind die einzelnen Arbeiten natürlich sehenswert, zumal sie im Bucerius Kunst Forum auch klug gehängt sind: Hockneys formale Entwicklung wird deutlich, nicht zuletzt durch Querverweise, die den Künstler weniger als unsteten Charakter zeigen, der vom einen Stil unmotiviert zum anderen springt, sondern als Suchenden, der bis ins hohe Alter getrieben ist von Interesse für seine Umwelt. Obwohl die ganz radikalen Formexperimente wie die späten iPad-Gemälde hier fehlen.

Durchgängig ist dabei ein humorvoller Zugriff auf seine Sujets: in den frühen Auseinandersetzungen mit Deutschland („The Berliner and the Bavarian“, 1962), die comichafte Radierungsserie „A Rake’s Progress“ (1961–63), die seinen ersten Zugang zum US-amerikanischen Pop darstellt, schließlich die Pool- und Duschmotive, die ein Ankommen Hockneys in seiner Wahlheimat Kalifornien markieren, mit lichtdurchfluteten Wasser-­Schatten-Gemälden.

Wobei gerade hier die Hamburger Präsentation an ihre Grenzen stößt: Ein raumgreifendes Werk wie „Man in Shower in Beverly Hills“ (1964) ist ans Ende eines engen Gangs verbannt, aus der als erotisches Zeichen lesbaren Duschszene ist eine Nasszelle geworden. Was eine Dusche eben auch ist, nur verliert die Hängung so ihren inhaltlichen Bezug.

Schön hingegen, wie viel Platz die Ausstellung der Auseinandersetzung mit Perspektive und Raumwirkung zugesteht. Die reicht von der bühnenbildartigen­ „Hotel Acatlan“-Serie (1984/85) bis zu einem wildfarbigen, in der Raummitte platzierten Paravent („Carribean Tea Time“, 1987) und lenkt so den Fokus auf einen noch nicht bis ins Letzte ausgedeuteten Aspekt von David Hockneys Werk.

Eher pflichtschuldig dagegen seine Hinwendung zum Naturalismus in den 1970ern: Ein großformatiges Gemälde wie „Mr and Mrs Clark and Percy“ (1970/71) besticht zwar durch die nahezu erotische Spannung, die sich zwischen dem Betrachter und dem porträtierten Ehepaar aufbaut, bleibt aber trotz seiner Doppeldeutigkeit der Konvention verhaftet.

Denn das ist Hockney bei aller stilistischen Wandlungsfähigkeit eben auch: ein Maler, der diebische Freude am gleichzeitigen Bedienen und Unterlaufen der Konvention zu empfinden scheint. Für eine Blockbuster-Ausstellung mag das als reichen, wer allerdings mehr erwartet, der wird auf den so freundlichen wie giftigen britischen Humor des Künstlers zurückgeworfen. Zur Vernissage werde der hochbetagte Hockney­ leider nicht anreisen, erzählt Bucerius-Kunst-­Forum-Chefin Kathrin Baumstark. „Eine Retrospektive? Das kenne ich doch schon alles!“, habe er ihr einen Korb gegeben, und bei aller Gemeinheit bringt dieser Korb das Dilemma der durchaus besuchenswerten Ausstellung recht elegant auf den Punkt.

„David Hockney. Die Tate zu Gast“: bis 10. 5., Hamburg, Bucerius Kunst Forum