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berliner szenenDie beiden Letzten ihrer Art

Die Nacht ist mal ­richtig kalt. Ich stehe um 23 Uhr am S-Bahnhof Sonnenallee, warte auf den Bus M41 und friere. Um mich herum dunkle Gestalten mit hochgezogenen Schultern.

Die leuchtende Reklamesäule – die nun die Altberliner Litfaßsäulen ersetzt – taucht die Szene in merkwürdiges Licht, das sich in regelmäßigen Abständen wandelt, weil sich die Werbebilder hin und her drehen. Sie beleuchtet auch zwei Elendsgestalten, die aus dem S-Bahnhof zur Bushaltestelle tapern. Beide sind mager, klein, tragen fleckige Jeans und wattierte graue Kunstlederjacken. Dann tut einer der beiden das gottverdammteste Ding, das ich seit langer Zeit gesehen habe.

Er hält strikt auf mich zu, der ich an der Telefonsäule lehne. Er greift in die Hosentasche. Ich sehe eine Konfrontation kommen und gehe zur Seite. Aber der Typ zieht ein paar Münzen hervor! Steckt zwei von ihnen in den Te­le­fon­apparat! Nimmt den Hörer ab! Tippt eine Nummer ein! Wartet mit dem Hörer am Ohr, wobei er den Hörer gegen den Himmel hält und mit den Augen rollt … Dann geht jemand am anderen Ende ans Telefon. Das Telefonat, das ich unfreiwillig mithöre, ist dringlich. Der Anrufer ist jetzt an der Sonnenallee, und der Gesprächspartner ist offenbar irgendwo anders. Da der Bus gleich kommt, trifft man sich in zehn Minuten am Hermannplatz. Alles klar. Okay.

Die Szenerie wird von den Wandellichtern der Reklamesäule weiter abwechselnd in den Brauntönen einer Werbung für eine vegane Hautcreme beleuchtet oder vom Blau der Reklame für eine Lebensversicherung, die einen nachts ruhig schlafen lässt.

Der Bus kommt, alle steigen ein. Auch die beiden letzten Menschen Berlins, die kein Handy haben. Ich steige Pannierstraße aus. Wer weiß, wie diese Geschichte weitergegangen ist.

Tilman Baumgärtel

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