Sophie Jungschaut sich in Berlins Galerien um:
Ist die „weiße Moderne“ nicht eigentlich eine graue, bröckelnde? So zumindest erscheint die Bauhaus-Stadt Tel Aviv auf den Fotografien von Irmel Kamp. Sie lichtete in den 1980er Jahren eine heroisierte Architektur im Alltag ab. Die klaren Umrisse der modernen Gebäudekuben überlagern sich auf ihren Schwarz-Weiß-Abbildungen mit den Fissuren der Fassade. Galerist Thomas Fischer und Künstler Barak Bar-Am legen derzeit in einer Gruppenausstellung formale und inhaltliche Linien zwischen Architektur, Form und alltäglicher Normalität, und verknüpfen dabei etwa Kamps Fotografie mit einer rhizomartigen Zeichnung von Architekt Zvi Hecker oder einem Aquarell aus Friedemann Heckels Instagram-Serie. Eine dezente, tiefe und doch experimentierfreudige Ausstellung im Exil, denn Galerist Fischer hat derzeit keine eigenen Räumlichkeiten (bis 14. 3., Do.–Sa. 12–18 Uhr, Goethestr. 2).
Auf ein Urmotiv der deutschen Romantik greift Antje Majewski bei neugerriemschneider zurück: den Wald. Doch die zunächst angenehm duftenden Fichtenstämme auf den Boden der Galerie oder die musikuntermalte Videoprojektion mit historischen und zeitgenössischen Waldaufnahmen wandeln sich in ihrer Installation zu Mittlern eines regelrechten ökologischen Desasters. Antje Majewski verfolgt die Auswirkung des Borkenkäfers. Seine Larven gefährden ganze Fichtenbestände in Deutschland. Und so verlieren die fein sich ästelnden Larvenwege, die Majewski in großformatige Malereien übertrug, schnell ihren Schein eines schönen Ornaments auf der Leinwand und werden vielmehr zum Abbild einer Plage (bis 8. 2., Di.–Sa. 11–18 Uhr, Linienstr. 155).
„Keep the poem high and dry“ benannte Natalie Häusler kürzlich eine Arbeit in der Kölner Reisebürogalerie von Nagel Draxler. Dabei handelte es sich um einen Briefkasten, durch dessen perforiertes Blech einige – wohl poetische – Notizen nur in Stücken zu entziffern waren. Die zwischen Berlin und Braunschweig pendelnde Künstlerin macht Sprache zu Objekten und Objekte zu Sprache und wirft dabei ihre Sätze gerne durch den Mixer von Übersetzungsfehlern und Klangverwandtschaften. In das Schaufenster von SOX pinselte Häusler jetzt in schwarzen, optisch interferrierenden Buchstaben ein weiteres ihrer seltsamen Gedichte. Nur in Satzfetzen wie „I saw dragons too.. in the waiting room“ erkennbar, sorgt es mitten auf der Kreuzberger Oranienstraße für ein erfrischend beklopptes Wirrwarr aus Alltagsträumereien und Klang. Kaum zu dechiffrieren, synaptisch wunderbar vernetzend (bis 20. 2., tgl. 24 Stunden, Oranienstr. 175)
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