Erdbebenserie in Puerto Rico: Tausende schlafen auf Parkplätzen
Seit über drei Wochen erschüttern Erdbeben das US-„Außengebiet“ Puerto Rico. Hilfe aus Washington kommt nur zögerlich, wie beim letzten Hurrikan.
Eine Frau in der Warteschlange berichtet von schlaflosen Nächten. Eine andere spricht über die Hunde der Nachbarn, die in der Vornacht wieder viermal angeschlagen haben. „Sie bellen vor jedem Beben“, sagt sie. Ihr Haus hat trotz der 186 spürbaren und der 1.104 gemessenen Erdbeben, die schon in den ersten beiden Wochen dieses Jahres im Südwesten der Insel erfasst worden sind, keinen Schaden genommen. Aber mit ihrer Seelenruhe ist es vorbei.
In der Nachbarschaft und in den Nachbarorten sind zahlreiche Privathäuser, Schulen und andere öffentliche Gebäude einsturzgefährdet. An Fassaden klaffen tiefe Risse. Oft haben sie sich x-förmig zwischen Fenstern und Türen in die Gemäuer gegraben. Auch Kirchtürme und vermeintlich solide alte Häuser sind betroffen.
Die Behörden haben Zwangsevakuierungen angeordnet und bislang acht Notunterkünfte eingerichtet. Ganze Familien sind aus ihren Wohnräumen in Zelte umgezogen oder schlafen in Autos. In Ponce, der zweitgrößten Stadt der Insel, die besonders hart von den Beben betroffen ist, leben Tausende seit Wochen auf Parkplätzen. Die Stromversorgung auf der Insel fiel für vier Tage komplett aus. Vielerorts sind die InsulanerInnen immer noch auf ihre privaten Notstromaggregate angewiesen.
Die Experten sprechen von „Erdbebenschwärmen“
Die Serie von Erdbeben erschüttert die Karibik-Insel seit dem 28. Dezember. Die Experten sprechen von „Erdbebenschwärmen“. Sie erklären, dass verschiedene Platten an dem aus Vulkanen entstandenen Meeresgrund in Bewegung geraten sind. Insbesondere die große karibische gegen die große nordamerikanische Platte. Aber sie können nicht sagen, ob und wie lange und mit welcher Stärke die Beben weitergehen werden.
In manchen Nächten hat die Erde seit dem 28. Dezember ein halbes und bis zu einem ganzen Dutzend Mal gebebt. Die meisten Beben blieben unter der Stärke 4. Aber immer wieder gehen sie auch weit über die Stärke 5 hinaus. In der Nacht zum 7. Januar erschütterte das bislang stärkste Beben die Insel mit einer Stärke von 6,4.
In den Minuten nach dem Beben um 4 Uhr 24 morgens flüchteten Zigtausende Puerto RicanerInnen, insbesondere solche, die direkt am Meeresufer leben, aus ihren Häusern. Viele hatten Tsunamiwarnungen auf ihren Handys erhalten. Andere brauchten diese Warnung, die sich später als falsch entpuppte, gar nicht, weil das starke Erdbeben ihnen schlagartig automatisch die Erinnerung an die Horrorgeschichten wachrief, die sie über das letzte große Beben gehört hatten. Im Oktober 1918 hatten wenige Minuten nach dem San-Fermín-Beben bis zu sechs Meter hohe Flutwellen Dutzende Menschen getötet.
Dieses Mal starb nur ein Mann in Ponce an den direkten Folgen des Erdbebens. Wenige Nächte später kam eine Frau, in der Aufregung über ein neues Nachbeben, durch einen Herzstillstand ums Leben. Aber viele andere – insbesondere DiabetikerInnen und andere, die auf regelmäßige medizinische Versorgung und eine solide Stromversorgung angewiesen sind – leiden.
Die Folgen von „Maria“ noch nicht überwunden
Für die drei Millionen EinwohnerInnen der Insel, ein „Außengebiet“ der USA, ist es eine neue Katastrophe. Dabei sind die Folgen der vorausgegangenen immer noch spürbar. Im Jahr 2017 starben Tausende im Hurrikan „Maria“ und an seinen Folgen. Immer noch erinnern provisorische Dächer, schlecht geflickte Straßen und ein pannenanfälliges Netz von Wasser- und Stromversorgung an den zerstörerischen Sturm.
In den Jahren vor „Maria“ hatte die Verschuldung der Insel, die auf nominal 72 Milliarden Dollar im Jahr 2015 gestiegen war, die Insel erschüttert. Washington hat Puerto Rico seither einen rigorosen Austeritätsplan aufgezwungen, der die Infrastruktur noch weiter geschwächt und auch zur Schließung von Krankenhäusern und Schulen geführt hat.
Nach jeder neuen Katastrophe der letzten Jahre haben Hunderttausende Puerto RicanerInnen die Insel Richtung Kontinent verlassen. Angesichts der Erdbeben zeigte die Regierung in Washington, die politisch über Puerto Rico entscheidet, obwohl die InsulanerInnen nicht wahlberechtigt sind, erneut die kalte Schulter. Washington bewilligte erst in der vergangenen Woche eine Katastrophenhilfe.
Während Präsident Donald Trump noch abwartete, kam unter anderem der Gouverneur des Bundesstaats New York, Andrew Cuomo, mit Decken und einem Tross von BauingenieurInnen auf die Insel. In seinem Bundesstaat lebt die größte puerto-ricanische Exilgemeinde.
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